Sunday, December 25, 2022
Was wir wirklich brauchen
Das folgende geht einige Jahre zurück, vor den Ukraine-Krieg und, wenn ich mich richtig erinnere, auch noch vor Corona. Als ich nach einer mehr oder weniger ausgedehnten Reise in meine norddeutsche Wahlheimat zurückkehrte und aus der U-Bahn stieg, prangte mir der folgende Werbeslogan entgegen: “Hamburg braucht mehr (…). Bewerben Sie sich!” Nun ratet mal, welches Wort ich an der Stelle der drei Pünktchen ausgelassen habe.
Richtig geraten! Es sind Millionäre. In einem Land, in dem es an allen Ecken und Enden bröckelt (beängstigende Arbeits-, Sozial- und Rentenpolitik, ein teilweise erschreckendes Bildungswesen, von der Umweltpolitik - genauer gesagt dem Fehlen einer solchen - ganz zu schweigen), wird mit diesem Slogan fürs Lottospielen geworben. Zum Teufel mit dem Fachkräftemangel! Wir brauchen nicht etwa Krankenpfleger, Lehrer oder meinetwegen auch Busfahrer, sondern Menschen, die ihr Geld aus dem Fenster werfen.
Nun kann man einem glücksspielorientierten Unternehmen genauso wenig vorwerfen, dass es für Glücksspiel wirbt, wie man einem Hund vorwerfen kann, dass er bellt. Es liegt in seiner Natur. Ebenso kann man es dem Rechtsstaat nicht anlasten, dass er diesen Schwachsinn durchgehen lässt - das Recht auf dämliche Werbespots steht irgendwo zwischen Religionsfreiheit und freier Meinungsäußerung im Grundgesetz, glaube ich.
Wirklich bezeichnend (bzw. erschreckend) finde ich den Umstand, dass hinter diesem Werbekonzept eine Erfolgserwartung steckt. Ich habe keine echte Vorstellung, wie in der Wirtschaft die Planung von werbebasierten Einnahmen und Ausgaben aussieht und mit welchen Beträgen dabei gerechnet wird; vermutlich sind es irrsinnig hohe Summen. In jedem Fall wird wohl davon ausgegangen, dass sich die Sache rentiert, d.h. dass es hinreichend viele Leute gibt, die auf solche Slogans reinfallen.
Die zwei kurzen Sätze auf der Werbetafel lassen es so klingen, als ob man nur einen Antrag auf eine siebenstellige Gewinnsumme ausfüllen und einsenden müsste, um sich ein paar Wochen später in den Club der Reichen und Wohlhabenden eintragen zu können. Natürlich funktioniert das Ganze in der Realität so nicht. Die Chance auf einen Hauptgewinn beim Lotto liegt etwa in der gleichen Größenordnung wie die Wahrscheinlichkeit, beim Joggen vom Blitz erschlagen zu werden.
Aber um diese Erkenntnis zu vermitteln, müsste man ebenfalls eine beachtliche Menge Geld in die Hand nehmen, und daran scheitert die Sache. Vermutlich lesen die Menschen den obigen Spruch und rennen in Scharen los, um Tippscheine zu erwerben, weil sie ernsthaft glauben, das wäre der schnelle Weg zum Glück. Mal abgesehen davon, dass das wie gesagt nicht klappt, wüssten die Leutchen auch ziemlich sicher nicht, was sie mit einem hohen Gewinn anstellen würden - ein beträchtlicher Anteil der Lottomillionäre bringt das gewonnene Geld in wenigen Jahren durch und steht danach wieder ganz am Anfang.
Und damit sind wir wieder bei der Frage angelangt, was wir wirklich brauchen. Eine gute Antwort (von mehreren) lautet: Mehr Bildung im Land. Also mehr Lehrer, und dazu idealerweise auch noch Lehrpläne, mit denen ein Fundament an Bildung und nützlichem Wissen dauerhaft aufgebaut werden kann. Das würde nicht alle Probleme lösen, die wir haben, aber es wäre ein Anfang. Dann würde es fürs Lottospielen kaum noch Nachfrage geben, und die Lottounternehmen könnten ihre Werbung in die Tonne treten.