Monday, May 1, 2023
Im Krieg mit China
Befindet sich Deutschland schon im Krieg? In den letzten Monaten wurde öfter mal die Position in den Raum geworfen, dass ein Land, welches Kriegsparteien mit Waffen beliefert, selbst ebenfalls zur Kriegspartei wird. Eine entsprechende Diskussion wurde kürzlich von Parteien angeheizt, die aus populistischen Gründen den Pazifismus für sich entdeckt haben. Ein abschließendes Wort ist hierbei noch nicht gesprochen.
Beginnen wir mal mit der klaren Feststellung, dass Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Nicht etwa eine militärische Spezialoperation, und der Krieg wurde Russland auch nicht “aufgezwungen” (eine Darstellung, für die Lawrow in der internationalen Gemeinschaft zurecht Gelächter erntet). Selbst Xi Jinping ist es zu peinlich, diesen Standpunkt offen zu vertreten.
Um die westlichen Werte zu verteidigen, haben wir die Ukraine mit Waffen unterstützt; nach der obigen Definition wären wir also aktuell im Krieg. Darüber hinaus glaube ich, dass Russland von den Chinesen Waffen geliefert bekommt. Die offizielle Darstellung sieht zwar anders aus, aber ich würde die Worte der Chinesen diesbezüglich nicht auf die Goldwaage legen. Wenn das zutrifft, würden wir uns folglich im Krieg mit China befinden.
Das ist allerdings noch nicht weit genug gedacht. Seit Jahren gehört Deutschland zu den größten Rüstungsexporteuren der Welt. Die Liste der Länder, in die wir Waffen liefern, ist erschreckend lang (selbst wenn man sich nur auf die offiziellen beschränkt). Ich möchte sogar die These aufstellen, dass es irgendwo auf dem Globus einen Krisenherd gibt, in dem beide Seiten von uns Waffen beziehen. Damit wären wir im Krieg mit uns selbst - ebenso wie natürlich die USA und viele andere große Nationen. Es ist eben alles Definitionssache.
Das alles ist erschreckend - umso mehr, wenn man den desolaten Zustand der Bundeswehr bedenkt. (Wie heißt es doch so schön: Die Aufgabe der Bundeswehr besteht darin, den Feind an der Grenze so lange aufzuhalten, bis Militär kommt.) Immer mal wieder dringen Gutachten an die Medien durch, dass unsere Hubschrauber nicht fliegen können, dass unsere Gewehre nicht zuverlässig schießen, usw. Ob das gut oder schlecht ist, mag jeder für sich selbst beurteilen.
Russland als Feindbild ist ja nichts Neues. Zwar ist der Begriff “Sowjetunion” etwas aus der Mode gekommen, aber im Großen und Ganzen bestätigt die jetzige Entwicklung in Osteuropa sämtliche Vorurteile, die wir über das Land haben. Wie sieht es jedoch mit China aus? Was wissen wir eigentlich über die Chinesen? Sie haben vor Urzeiten eine große Mauer gebaut, ihre Bärenpopulation schwarz-weiß angemalt, und sich dann für lange Zeit schlafen gelegt.
Bis vor etwa 20 Jahren war unser Bild der Chinesen das von einer Milliarde schmächtiger, schlitzäugiger Reispflücker, deren gesprochenes und geschriebenes Wort für uns nicht verständlich war. Und da sie weit entfernt lebten und im Übrigen ihr kultureller Beitrag aus einem Wok voller verknoteter Nudeln bestand (einem Utensil, welches gemäß Stefan Raab ohnehin besser zum Rodeln als zum Kochen geeignet ist), konnten wir sie, was geopolitische Entwicklungen angeht, getrost ignorieren.
Anfang 2020 fielen die Chinesen auf, weil sie der Welt Corona geschenkt haben. (Noch immer weiß niemand mit Sicherheit, wie die Pandemie begann.) Seitdem ist das Land aus ziviler Sicht weitestgehend abgeriegelt, was für die meisten von uns allerdings keinen Unterschied macht. Erst zu Beginn dieses Jahres hat sich China wieder in die Schlagzeilen gedrängt. Erinnert ihr euch? Da war die Sache mit den Ballons.
Über den USA (und ein paar anderen Ländern) wurden chinesische Spionageballons gesichtet. Nach reiflicher Überlegung hat Joe Biden entschieden, die Ballons abschießen zu lassen. Die Chinesen haben reichlich entrüstet reagiert; einer ihrer Diplomaten hat ungefähr dieselbe Fleppe aufgesetzt wie damals Donald Trump, als die Dänen ihm Grönland nicht verkaufen wollten. Ständig musste ich an Jack Nicholsons Zitat “Er hat mir meine Ballons geklaut!” aus dem Batman-Film von 1989 denken.
Im Ukraine-Konflikt hat sich China lange im Hintergrund gehalten. Vermutlich wollten sie die Reaktion des Westens abwarten und analysieren, um ihre weitere Taiwan-Strategie entsprechend zu gestalten. Sie handeln noch nicht, sondern beobachten und bringen sich weiter in Stellung. Für den Krieg zwischen Russland und der Ukraine streben sie eine Position als Vermittler an.
Unabhängig von Sympathiefragen muss man anerkennen, dass das ausgesprochen clever von ihnen ist. Die Chinesen denken und planen viel langfristiger, als wir dazu in der Lage sind. Lange Zeit haben wir sie belächelt, ihre Staatsform - einen totalitären Staat, wohlwollend “Volksrepublik” genannt - verabscheut und ihre Errungenschaften kleingeredet. Inzwischen sind sie dabei, uns in so ziemlich allen Bereichen des Lebens zu überflügeln.
Insbesondere wenn es um Wissenschaft und Technik geht, schauen wir mittlerweile nur noch zu, wie die Chinesen an uns vorbeiziehen. Wusstet ihr, dass China eine eigene Mondmission und seit 2022 sogar eine eigene Raumstation hat? Im Sport entdeckt China ebenfalls mehr und mehr Betätigungsfelder für sich. Die Zeiten sind vorbei, als sich chinesische Athleten hauptsächlich dank ihrer eigenen Preisrichter behaupten konnten. Seit gestern haben wir einen chinesischen Schachweltmeister.
Auch bei Smartphones - für Normalbürger das A und O, um eine Kultur zu bewerten - macht China rasante Fortschritte. Ihre Huawei-Handys mögen Spionage-Software vorinstalliert haben oder auch nicht (plausibel ist der Gedanke allemal, wo sie doch jetzt auf ihre Ballons verzichten müssen). Aber nachdem wir jahrelang hingenommen haben, dass BND und NSA abwechselnd unsere Geräte ausgekundschaftet haben, dürfte uns das sicher egal sein.
Da draußen läuft tatsächlich ein Krieg ab; es geht darum, wer in weiteren 20 Jahren die Welt dominieren wird. Und objektiv betrachtet sind die Chinesen dabei, ihn zu gewinnen. Mit jedem Jahr, jedem Monat, jedem Tag verbessert sich ihre Position, während sich unsere verschlechtert. Deutschland hat schlicht und einfach kein Zukunftskonzept. Hierzulande sehnt man sich nach längst vergangenen Zeiten zurück und lässt die Dinge laufen, ohne dabei zu bemerken, dass sich die Welt weiterdreht. In China blickt man nach vorn.