Saturday, May 13, 2023
Der Schlagzeilen-Sumpf
In den Nachrichten liest man täglich, wie es im Ukraine-Krieg steht, und es gibt noch eine Handvoll weitere mediale Dauerbrenner. Dazwischen finden sich auch immer Elemente aus der Boulevard-Presse, in denen es um sogenannte Stars bzw. Promis geht. Erst kürzlich habe ich die Schlagzeile “Was macht das Multitalent Verona Pooth?” (oder ähnlich) gelesen. Umgehend musste ich mir wieder an den Kopf greifen.
Verona hieß früher Feldbusch, war Ende der 1990er regelmäßig im Fernsehen präsent und machte unter anderem dadurch auf sich aufmerksam, dass sie bei öffentlichen Auftritten (”Halli hallo hallöle”) die deutsche Sprache nicht vollständig mächtig war. Vermutlich besaß sie noch ein paar andere, tatsächlich nützliche Gaben. Trotzdem wäre ich nie auf die Idee gekommen, sie als Multitalent zu bezeichnen. Nur Verrückte!
Und was soll sie schon machen? Sie macht nicht mehr “Peep” oder “Blubb”, aber ist halt irgendwie/irgendwo noch da. Nadja Abd el Farrag (kurz “Naddel”), eine weitere prominente Ex von Dieter Bohlen, war eine Weile nicht da, ist jetzt auch wieder da (wenngleich pleite) und veröffentlicht ab und zu ein Kochbuch oder ein Stück ihrer Memoiren. Nur: Wieso sollte uns das alles eigentlich interessieren?
Es ist erschreckend, mit wieviel Unrat und Kardashianismus man in den Medien heutzutage überschüttet wird. Die Palette reicht von “Bares für Rares” bis “Höhle der Löwen”, von Boris Becker bis Steffen Henssler. Täglich lese ich über gescheiterte Auswanderer und schwangere Bacheloretten, über Nervenzusammenbrüche bei GNTM und wie die Teilnehmer von Talent-Shows es wegstecken, wenn sie gesagt bekommen, dass sie keines haben.
Vereinzelt gibt es in dieser Richtung Perlen, aber das ist eher die Ausnahme. In der Zwischenzeit amüsiere ich mich über Meldungen darüber, dass ein ICE falsch abgebogen ist (früher sind die Züge versehentlich durch Wolfsburg durchgefahren, jetzt fahren sie dran vorbei), oder dass ein führender hessischer Korruptionsbeauftragter wegen Bestechlichkeit verurteilt wurde. Intellektuelle Bereicherungen meines Lebens sind dies jedoch ebenfalls nicht.
Vorige Woche fand ein eher seltenes Ereignis statt, nämlich die Krönung eines neuen britischen Monarchen. Verschiedene Umfragen zeichnen verschiedene Bilder darüber, ob unsere Freunde von der Insel überhaupt einen König und/oder eine so prunkvolle Krönungszeremonie haben wollen; mir ist sogar von einer Auswertung zu Ohren gekommen, dass diverse Briten lieber gleich William als erst Charles auf dem Thron gesehen hätten. Und wenn man die Schotten gefragt hätte (was in London dieser Tage gern vermieden wird), wäre sicher etwas ganz anderes herausgekommen.
Aber auch hier ist es so, dass der Journalismus groteske Prioritäten setzt. “Wer war die Frau mit dem Schwert?” hieß es an einer Stelle. “Frau mit Schwert” ist bei uns die Bezeichnung von Uma Thurmans Charakter in den Kill-Bill-Filmen, aber egal; bezeichnend ist jedenfalls, dass solche - in meinen Augen eher unwichtigen - Details der Zeremonie hochgespielt werden und mehr Platz in den News einnehmen als zentrale Aspekte der britischen Monarchie.
Bei diesem Thema darf Prinz Harry natürlich nicht fehlen. Als ich am vergangenen Samstag stichprobenartig die Nachrichten durchforstet habe, stieß ich neunmal auf seinen Namen in einer Schlagzeile, hingegen nur siebenmal auf König Charles. Unter anderem ging es darum, wo er sitzen und auf welchen Fotos er sich zeigen durfte. Der gekrönte Thronfolger scheint für die Öffentlichkeit weniger interessant als der abgeschrägte Rotschopf zu sein - und da sind wir noch nicht mal bei dessen Frau Meghan oder ihrem Vater angelangt.
Genug zu den royalen Entwicklungen. Eine andere Figur von globalem öffentlichen Interesse ist natürlich Donald Trump, der präsidiale Frauenbegreifer. Gefühlt jede Woche findet ein Prozess oder eine Untersuchung gegen ihn statt, was er jeweils als Hexenjagd abtut. Er erntet dafür Applaus von seinen Followern und schickt sich an, demnächst erneut für das höchste amerikanische Amt zu kandidieren.
Da wir kein vergleichbares politisches Schwergewicht in Deutschland haben, geben wir uns mit den Skandalen um Boris Palmer oder Robert Habeck zu zufrieden. Es ist ein Jammer, dass ausgerechnet die Grünen im Moment so negative Presse bekommen. Andererseits bin ich zuversichtlich, dass dies nur eine statistische Fluktuation ist und wir bald wieder von den Fettnäpfchentretern aus den Reihen anderer Parteien hören. Bewerber gibt es genug.
So unerfreulich politische Nachrichten auch sein mögen, sie sind es in vielen Fällen trotzdem wert, gesehen bzw. gehört zu werden. Dummerweise geht es dazwischen gleich im alten Stil weiter: Terminplanung für die nächste Staffel vom “Sommerhaus der Stars”, Schockmomente bei “Let’s Dance” und Offenbarungen, wer bei “Masked Singer” unter den Kostümen steckt - einem Sendeformat, bei dem man eigentlich froh sein müsste, dass die Gesichter der Dramatis Personae nicht gezeigt werden.
Was ich mich in diesem Kontext frage: Wird das beständig sinkende Nachrichtenniveau primär durch das Angebot oder durch die Nachfrage definiert? Haben die Medien uns ihren Stempel der Geistlosigkeit so lange aufgedrückt, dass wir uns damit abgefunden haben, oder war die Bevölkerung von vornherein scharf auf geschmacklose Peinlichkeiten aller Art, und die Medien haben lediglich geliefert? Oder trifft beides zu (das schlimmste Szenario), und wir befinden uns jetzt in einer unentrinnbaren, endlosen Abwärtsspirale? Ein trauriger Gedanke.