Saturday, June 29, 2024

Auf den Punkt gebracht

Als Kontrast zu meiner Tirade aus dem vorigen Artikel möchte ich einen etwas lockereren Beitrag gleich hinterherschieben. Den Einstieg bildet - wieder einmal - eine kürzliche Interaktion mit der Deutschen Bahn. Bei einer Fahrt war etwas mehr Verspätung zusammengekommen, als mir (und den anderen Fahrgästen) lieb war, so dass ich mich motiviert sah, über die Bahn-Webseite einen Antrag auf Entschädigung einzureichen.

Der Fairness halber möchte ich gleich vornweg betonen, dass das Web-Formular gut funktionierte und die Bahn mir einen ordentlichen Betrag zurückerstattet hat. Was mir allerdings hierbei konkret im Kopf hängengeblieben ist, ist eine Formulierung aus dem beigefügten Schreiben der Bahn: “Zugausfälle sowie Verspätungen können aufgrund der Komplexität des Eisenbahnbetriebes leider nicht immer vermieden werden.”

Klingt sehr elegant, oder? Ich übersetze das mal: “Wegen übertriebener Sparmaßnahmen (d.h. des Geizes der Entscheidungsträger im Vorstand) und der Inkompetenz unseres Personals ist die Bahn regelmäßig unpünktlich.” Nicht kürzer, aber irgendwie doch viel prägnanter und geradliniger. Natürlich wird die Bahn sich nie dazu herablassen, einen solchen Wortlaut offiziell nach außen hin zu verwenden. Im Zusammenspiel von Schein und Sein hat der Schein im Zweifelsfall die höhere Priorität.

Es gibt verschiedene Grade des Schönredens, insbesondere was das Ausmaß der Verfälschung von Sachverhalten und Fakten angeht. In der Hinsicht ist die obige Wortwahl erstaunlich zurückhaltend, denn die Bahn lässt es - im Gegensatz zu sonstigen Ausreden - nicht so klingen, als wäre die Verspätung komplett außerhalb ihres Einflussbereichs zustandegekommen. Es ist nur auch kein echtes Schuldeingeständnis.

Das Schönreden unter bewusster Bezugnahme auf Falschheiten oder zumindest manipulierte Darstellungen (Statistiken, usw.) ist weit verbreitet, wenn es um Themen geht, bei der die Verantwortlichen sich für eine inakzeptable Sachlage rechtfertigen müssen. Ob es da um Arbeitslosenzahlen, um Bauzeiten von Bahnhöfen und Flughäfen oder um Qualitätsmerkmale von Lebensmitteln geht, ist eigentlich egal; es läuft immer darauf hinaus, dass man die Darstellung so weit verbiegt, bis sie gerade noch zumutbar ist.

Es hat sich jedoch gleichermaßen durchgesetzt, selbst dann wohlklingende Worte zu wählen, wenn es inhaltlich nix zu beschönigen gibt. Ein Gutachter sagt naturgemäß lieber “Ich bin mit Ihrer Bewertung nicht einverstanden”, als mit der Faust auf den Tisch zu hauen und “Das ist alles Scheiße!” zu brüllen. Eine gesetzte Sprache steigert unser Ansehen bei den Mitmenschen, d.h. vom Kern der Sache her ist die Motivation dahinter schlichtweg Eigennutz.

Leider verlernen wir dabei mit der Zeit, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Vor einer Weile war ich mal bei einer IT-Präsentation zu Gast, die aus 30 Minuten Vortrag und 15 Minuten Diskussion bestehen sollte. Mit dem Abschluss seines Vortrags eröffnete der Redner die Diskussionsrunde, wobei er darauf hinwies, dass aufgrund der begrenzten zeitlichen Kapazitäten jemand im Hintergrund bei allen Beiträgen darauf achten würde, dass sie nicht ausufern dürften, ansonsten würde ein anschwellendes Geräusch technisch eingespielt werden, das mit der Zeit immer aufdringlicher würde und das Ziel hätte, den Sprecher ähnlich wie ein Glöckchen daran zu erinnern, dass er zum Ende seiner Wortmeldung kommen müsse… Es lief darauf hinaus, dass er etwa 2 der 15 Minuten brauchte, um “Wir müssen uns kurz fassen” zu sagen.

ITler gehören wie so viele Menschen zu der Gruppe derer, die sich selbst gern reden hören. Insofern kam diese Episode für mich nicht wirklich überraschend. Es dürfte klar sein, dass die anschließende Diskussion meilenweit den vorgesehenen Zeitrahmen sprengte, weil alle Zuhörer, die sich gern einbringen wollten, vom Wesen her das gleiche Selbstverständnis mitbrachten.

Es ist ungeheuer wohltuend, wenn man dann einmal das krasse Gegenteil erlebt. Ein leuchtendes Beispiel in diesem Zusammenhang ist der Abgeordnete Felix Banaszak von den Grünen, der Ende 2023 eine der kürzesten Reden in der Geschichte des Deutschen Bundestages hielt. Auf einen Antrag der AfD (zur Abschaffung der CO2-Bepreisung) reagierte er kurz und knapp wie folgt:

“Wer belastet so spät den Bundestag?
Es ist die Fraktion, die keiner mag.
Sie stellt einen Antrag, dem du nicht entkommst;
wir lehnen ihn ab - ja was denn auch sonst.”

Ich war und bin begeistert. Meines Wissens kam die Aktion bei so ziemlich allen Leuten gut an (außer der AfD). Aber wenn dergleichen gern gesehen wird, wieso passiert es dann nicht öfter? Man sagt ja “In der Kürze liegt die Würze”, und das sollten wir uns alle zu Herzen nehmen. Auch wenn es nicht dem Geist der Zeit entspricht: Am Ende sollte zählen, was wir gesagt haben, und nicht wie wir es gesagt haben.