Saturday, June 29, 2024

Das Missverhältnis von Schuld und Sühne

In den letzten Tagen und Wochen habe ich mehrfach - die genaue Zahl könnte ich nicht benennen, aber es war definitiv zu oft - Artikel gelesen, wonach schwere Wirtschaftskriminelle freigesprochen bzw. diesbezüglich kritische Verfahren eingestellt wurden. Ich muss nur die Begriffe Cum-Ex und Panama Papers erwähnen, dann wisst ihr ungefähr, worum es geht. Verbrechen zahlt sich dieser Tage offenbar aus.

Es scheint erstaunlich schwer zu sein, der organisierten Kriminalität Herr zu werden, und damit meine ich wohlgemerkt nicht nur mafiöse Einheiten aus osteuropäischen Staaten, wie man sie aus Film und Fernsehen kennt. Vielmehr beziehe ich mich auf Banker und dergleichen, welche die bestehenden Wirtschafts- und Finanzstrukturen systematisch unterhöhlen und ausbeuten. Für meinen Geschmack werden diese Leute viel zu selten belangt.

Aber man kann noch ein Stück weiter denken. Eigentlich ist es in nahezu jedem Lebensbereich so, dass Verbrecher entweder ungeschoren oder mit relativ milden Strafen davonkommen. In den USA ist gerade ein Urteil des Obersten Gerichtshofs gefallen, welches das Verfahren gegen diejenigen erschwert, die Anfang 2021 das Kapitol gestürmt und damit effektiv versucht haben, den gesamten demokratischen Prozess zu sabotieren.

Donald Trump (um dessen Anhänger es sich bei dem Sturm auf das Kapitol handelte) hat den Supreme Court erst zuvor in seiner Amtszeit mit mehreren Richtern gespickt, die sein Wohlwollen haben, womit sich der Kreis gewissermaßen schließt. Für mich ist Trump ein Hochverräter, aber abgesehen davon, dass ich kein Amerikaner bin, hat er jede Menge Follower, und damit ist die Sache wohl in Ordnung.

In unserem Teil der Welt sind nicht Republikaner, sondern Islamisten auf dem Vormarsch. Und trotzdem sehe ich gewisse Parallelen. Manche von ihnen rufen mehr oder weniger offen zur Errichtung eines Kalifats auf deutschem Boden auf, also effektiv zur Auflösung unseres Rechtsstaats und damit auch zur Zerstörung unserer Lebensweise. Doch wenn man versucht, diese Leute aus dem Verkehr zu ziehen, fällt - bezogen auf unser Rechtssystem - umgehend das Wort “islamfeindlich”, und dann bewegt sich nix. Es ist erschreckend.

Generell erleben wir gerade eine unglaubliche Verrohung der Gesellschaft. Wie ich schon vor wenigen Wochen schrieb, liest man fast täglich von verübten Gewaltverbrechen, deren Auslöser eigentlich Bagatellen sind. In den Nachrichten wird relativ oft betont, dass es sich bei den Tätern um ausländische Mitbürger handelt, als solle die Sache durch die Rechtfertigung “Andere Menschen, andere Sitten” heruntergespielt werden. Stich- und Schlagworte wie “Ehrenmord” kommen mir in den Sinn.

Ich weiß nicht, ob der kausale Verweis auf fremde Kulturen so tragfähig ist (die AfD greift ihn jedenfalls gern auf). Es ist jedoch ersichtlich, dass das Verhalten schon auf unsere eigene Kultur übergeschwappt ist. Menschen schubsen wildfremde andere Menschen eine Treppe herunter, weil sie etwas Gaudi wollen, und stellen mitunter sogar Bild- und Videomaterial von der Episode in eins der sozialen Netzwerke, wo ein derartiges Verhalten angesagt ist. Nur Idioten!

Wir reden hier über einen Menschenschlag, der ein solches Benehmen geil findet. Meine Frage: Wenn diese Leute wie Tiere leben wollen, kann man dann nicht Gesetze hervorbringen, nach denen sie auch wie Tiere behandelt werden? Kann man Personen, die wie tollwütige Hunde durchs Leben gehen, nicht passenderweise in einen Käfig sperren und in den besonders drastischen Fällen artgerecht einschläfern?

Aber ach! Es wird als Zeichen der Zivilisiertheit angesehen, dass wir selbst mit dem schlimmsten Gesindel sanft und human umgehen. Diese idealistische Denkweise geht auf Zeiten zurück, die mit der heutigen kaum noch vergleichbar ist. Inzwischen wird gefühlt mehr Rücksicht auf die Täter als auf die Opfer genommen. Im günstigsten Fall bleibt es bei ein paar Stunden gemeinnütziger Arbeit. Schon an Abschiebungen scheitert die deutsche Justiz regelmäßig, von härteren Strafen ganz zu schweigen.

Verlassen wir die große gesellschaftliche Bühne und gehen wir für ein abschließendes Beispiel nochmal ein kleines Stück zur Seite, nämlich zum Sport. Zweifellos könnte man dort ebenfalls zahllose Fälle finden, aber ich möchte nur einen einzigen anführen. Lance Armstrong, einer der größten Dopingsünder des 21. Jahrhunderts, ist ein weiterer Beweis dafür, wie das System versagt.

Durch Dopingbetrug über Jahre hinweg und dessen profitable Konsequenzen wie Sponsorenverträge und Werbeeinnahmen hat er ein Vermögen angescheffelt, das einmal auf 100 Millionen Dollar geschätzt wurde. Ob die Zahl noch stimmt, weiß ich nicht, die Größenordnung ist sicher weiterhin gültig. Als Strafe für seine betrügerische Karriere musste er ein scheinheiliges Geständnis ablegen und in einer Einigung fünf Millionen Dollar zurückzahlen. Den Rest darf er wohl behalten.

Auf der Webseite des US-Justizministeriums las ich hierzu:

“No one is above the law. A competitor who intentionally uses illegal PEDs not only deceives fellow competitors and fans, but also sponsors, who help make sporting competitions possible. This settlement demonstrates that those who cheat the government will be held accountable.”

(”Niemand steht über dem Gesetz. Ein Wettkämpfer, der illegal leistungssteigernde Substanzen einnimmt, schadet nicht nur den Konkurrenten und den Fans, sondern auch den Sponsoren, die sportliche Wettbewerbe erst möglich machen. Die Einigung zeigt auf, dass Betrüger zur Rechenschaft gezogen werden.”)

Nein, genau das tut sie in meinen Augen nicht. Sie beweist vielmehr, dass sich Doping lohnt. Solange die Täter nach Verbüßung ihrer Strafe immer noch besser dastehen als zu Beginn (dazu kommen die, die gar nicht erwischt werden), lautet das einzige logische Fazit, dass sich Betrug rentiert. Und diese Erkenntnis gilt jetzt wiederum nicht nur im Sport, sondern davon losgelöst in eigentlich jedem Lebensbereich.

Also wenn ihr es im Leben zu etwas bringen wollt: Traut euch! Ihr müsst nur groß genug denken. Falls ihr etwa einen Leergutbon veruntreut, hat der Staat bzw. das Rechtssystem eine Handhabe gegen euch. Aber wenn ihr in irgendeinem ökonomischen Kontext ein Schlupfloch findet, durch das ihr Millionen abzweigen könnt, seid ihr fein raus. Wir leben in einer Zeit, in der diejenigen am erfolgreichsten sind, die nicht nach den Regeln spielen.