Tuesday, September 24, 2024
Schuld sind immer die anderen
Diese Woche bin ich mal wieder mit der Bahn im Fernverkehr unterwegs. Genauer gesagt habe ich gestern eine mehrstündige Fahrt in meine alte Heimat unternommen, wobei ich kurzfristig entschieden habe, etwas eher als ursprünglich geplant loszufahren. Im Nachhinein scheint das eine gute Idee gewesen zu sein, denn in den nachfolgenden Zügen hat sich bereits am Ausgangsbahnhof Verspätung angesammelt; angeblich wären “nicht genug Gleise verfügbar”. Ich glaube nicht, dass ich für eine Störung im Betriebsablauf schon mal mit diesem Wortlaut konfrontiert worden bin.
Die Bahn kann natürlich nichts dafür. Ihr solltet nicht denken, dass hinter der Sache eine schlechte Planung der hiesigen Fahrdienstleitung oder ähnliches steckt. Nein, es ist vielmehr so, dass in der Nacht ein paar Kobolde gekommen sind und die fehlenden Gleise einfach weggenommen haben. Das kann man guten Gewissens als höhere Gewalt abtun. Solche Vorkommnisse zwingen selbst ein grundsolides, kompetentes Unternehmen wie die Deutsche Bahn in die Knie.
Im Internet ist nicht genug Platz, um über all die Dinge zu berichten, die bei der Bahn nicht stimmen. Und da ich ohnehin schon sehr oft über die Unzulänglichkeiten der Bahn schreibe, möchte ich deshalb heute lieber zu einer zweiten Institution überleiten, die in letzter Zeit (Achtung: Wortspiel!) auf den gleichen Zug aufgesprungen ist, d.h. nichts auf die Reihe zu kriegen und dafür anderen die Schuld zu geben. Ich spreche von der FDP.
Generell bin ich kein Fan der FDP, und seit es Christian Lindner gibt, schon mal gar nicht. Was mich aber - insbesondere im Kontext der jüngsten Landtagswahl in Brandenburg, aber auch schon bei den vorangegangenen Wahlen im Osten - fasziniert, ist die Kreativität, mit der die FDP-Führung ihre Position verteidigt und stattdessen bei so ziemlich allen Begleitumständen die Schuld für ihr schlechtes Wahlergebnis sucht. Da ist von taktischem Wahlverhalten die Rede, von Rahmenbedingungen allgemein (was auch immer damit gemeint ist), und am Ende natürlich auch von der Ampel-Koalition.
Mir ist nicht ganz klar, ob das eine strategische Stellungnahme mit dem Ziel der Schadensbegrenzung ist, oder ob die FDP wirklich so tickt. Vermutlich ist letzteres der Fall. “Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in Brandenburg vieles richtig gemacht haben”, heißt es in einer Reaktion auf das Wahlergebnis, und “wir werden dafür sorgen, dass die Stimme der Freiheit in Brandenburg weiterhin unüberhörbar bleibt”. Völlig gestört, vom ersten bis zum letzten Wort, wenn ihr mich fragt.
Mit solchen Phrasen kann man kleinere Schwankungen wegreden (was die FDP in der Vergangenheit auch gern schon mal getan hat), aber doch nicht ein solches Debakel. Die SPD hat 30% der Stimmen bekommen, die FDP nicht mal einen Prozentpunkt - von der Fünf-Prozent-Hürde ganz zu schweigen. Anders gesagt, in einem Raum voller Menschen gibt fast jeder Dritte seine Unterstützung der SPD, leider auch fast genauso viele der AfD, allerdings wird man in dem gleichen Raum statistisch kaum einen einzigen FDP-Anhänger finden. Wenn die FDP dann die Ampel für ihre Situation verantwortlich machen will, ist das eine Debatte auf Kleinkindniveau.
Die CDU hat diese Denkweise für sich entdeckt, seit sie in der Oppositionsrolle ist. Ungefähr 90 Minuten, nachdem der Ausgang der Bundestagswahl 2021 bekannt wurde, haben Merz und Konsorten mit dem Lindnern begonnen (und bis heute nicht wieder damit aufgehört). Nun kann ich grundsätzlich auf die FDP verzichten (zumal das Wort “liberal”, mit dem sie sich gern beschreiben, seit langer Zeit nur noch mit “planlos” zu übersetzen ist). Doch was die großen Parteien angeht, würde ich mir mehr Substanz wünschen. Um politisch zu bestehen, braucht es keine Schuldzuweisungen, sondern Konzepte.