Sunday, November 3, 2024

Der beste Freund des Menschen

Neulich bin ich auf dem Nachhauseweg von einem Hund angegangen worden. Als ich um eine Hausecke bog, kam ich seiner Halterin entgegen, und das Tier muss ganz plötzlich einen unangebrachten Beschützerinstinkt verspürt haben. Weil es kein ausprägtes Gebiss besaß und mir selbst auf seinen Hinterbeinen stehend kaum bis an die Kniescheiben reichte, musste ich mir zu keinem Zeitpunkt Sorgen um meine Gesundheit machen. Trotzdem hat mich der Vorfall ein wenig irritiert, weil ich mir keiner Schuld bewusst war und es nie in meiner Absicht lag, für die hiesige Fauna ein Angriffsziel darzustellen.

Die Besitzerin entschuldigte sich ausschweifend, was ich für eine nette Sache halte, denn es gibt auch Leute, die ihren Hund in einem solchen Fall einfach nur mit einem derben Ruck an der Leine wegzerren, ohne ein Wort zu sagen. Ich blickte ihr noch ein paar Sekunden nach und versuchte mir vorzustellen, was sie dazu bewogen hat, sich den Kläffer zuzulegen. Es ist mir nicht gelungen.

Der Grund dafür war nicht primär die Frau, sondern das Tier. Am vorderen Ende sah es wie ein Dackel aus, am hinteren Ende ein bisschen wie ein Sofakissen, und der Teil dazwischen erinnerte entfernt an eine Tüte Biomüll nach zwei Wochen in der Sonne. Nun ist es eigentlich so, dass man Menschen nicht nach ihrem Äußeren beurteilen soll, und Tiere folglich ebenso wenig. Trotzdem machte die Kombination aus dem Verhalten des Hundes und seiner Erscheinung einen Eindruck auf mich, den ich nicht einfach so wieder ablegen konnte.

Ich gehöre zum Team Katze, doch da ich Tiere allgemein mag, habe ich ein grundsätzliches Verständnis für Hundehalter. Insbesondere gibt es edle Hunderassen, bei denen die Besitzer sich augenscheinlich alle Mühe geben, sie bestmöglich zu erziehen und zu versorgen. Bilder von Schäferhunden oder Huskies kommen mir in den Sinn - ihr wisst schon, prachtvolle Exemplare, die zu stolz sind, beim Spazieren auf diejenigen Artgenossen hinabzuschauen, welche so aussehen, als wären sie in David Cronenbergs “Die Fliege” in die falsche Kapsel gestiegen.

Auf der anderen Seite gibt es Vertreter der gleichen Gattung, die nicht so sehr Tiere, sondern am ehesten Accessoires darstellen (”eine Handvoll mit Schwanz”, wie es Helga Hahnemann ausdrücken würde). Vor meinem inneren Auge sehe ich It-Girls und dergleichen, die sich einen so kleinen Wauwau halten, dass für selbigen schon die Fortbewegung auf den eigenen vier Pfoten eine Belastung darstellt, weswegen er in der Regel nur in der Handtasche befördert wird. Ich habe insgeheim den Verdacht, dass sich die Besitzerinnen mit ihm die Nase pudern, wenn niemand hinsieht.

Natürlich gibt es zwischen diesen beiden Extremen noch eine große Menge Hunde, die nicht in die eine oder andere Richtung ausschlagen. Sie leisten ihren Besitzern Gesellschaft und sorgen für kuriose Treffen, wenn sich die gassigehende Klientel im Park begegnet. Meistens läuft es darauf hinaus, dass mindestens eins der Tiere plötzlich auf ein anderes losrennt und sein Frauchen hinter sich herschleift. Nach ein paar Minuten sind die Hundeleinen so stark miteinander verknotet, dass es erstens einen Spezialisten benötigt, das Knäuel wieder aufzutrennen, und dass sich zweitens alle Umstehenden prächtig amüsieren.

Leider gibt es daneben auch noch eine Anzahl von Haltern, denen es anscheinend völlig egal ist, wie sich ihr Bello entwickelt. Es ist ein trauriger Umstand, dass ein gehaltenes Tier in manchen Kreisen primär ein Statussymbol darstellt, und dass für solche Leute andere Faktoren wie Tierliebe und Verantwortung in dem Spiel gar nicht vorkommen. In den Nachrichten hört man immer mal, wie ein Kampfhund ein Kleinkind zerfleischt hat - nicht schön, aber leider auch ein Teil der Welt, in der wir leben.

Mir kam ein besonders grotesker Fall zu Ohren, in dem ein Hund nach einer vergleichbaren Attacke in ein Tierheim gebracht und dort eingeschläfert wurde. Die Besitzer (die den Köter zu der fraglichen Zeit nicht hinreichend beaufsichtigt hatten) beschlossen, das Tierheim zu verklagen. Nur Bekloppte! In meinen Augen hätte man sie allein dafür ebenfalls einschläfern sollen. Was aus dem Rechtsstreit geworden ist, habe ich nicht mitbekommen; in meinen Augen hätte man ihnen jedenfalls mindestens ein lebenslanges Tierhalteverbot aufdrücken müssen.

Das mit der Verantwortung gilt übrigens nicht für Hunde. Es gibt diverse Stories, in denen ein Kind vergessen hat, seinen Goldfisch zu füttern (typischerweise, weil es von den Eltern das erste Mal ein Smartphone ohne Browsersperre geschenkt bekommen hat), so dass die armen Viecher irgendwann nur noch kieloben im Aquarium trieben. In der Regel haben sie aus diesem Vorfall jedoch nichts gelernt, weil nach ein paar Tagen ein Elternteil ins Zoogeschäft gegangen und mit nahezu identischen Exemplaren zurückgekommen ist, um dann ihrem Sprössling zu erklären, dass nichts passiert sei und eigentlich alles in Ordnung wäre.

Das Halten von Fischen oder Reptilien ist für mich generell nur schwer nachvollziehbar. Nach meinem Verständnis wissen sie die menschliche Gesellschaft ohnehin nicht zu schätzen und sind obendrein auch nicht glücklich damit, dass sie von ihrem Halter anstelle ihres natürlichen Lebensraumes in ein Glasgefäß gesteckt werden, in das nicht einmal ein Staubsauger passt.

Aber selbst bei Hunden (und anderen Säugetieren) gibt es nie eine hundertprozentige Sicherheit, und wenn die Halter entweder nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die maximale Sorgfalt in die Erziehung ihres Haustieres zu investieren, dann erst recht nicht. Der größte Irrtum im Umgang mit Tieren lautet, dass wir angeblich wüssten, wie sie ticken und warum sie bestimmte Verhaltensweisen an den Tag legen. In Wirklichkeit sind Tiere unberechenbar, letztendlich sogar die domestizierten.