Sunday, November 16, 2025
Das Zusammenspiel von Bildung und Weltbild
Es ist einen Monat her, dass ich das letzte Mal etwas geschrieben habe. Naja, seitdem ist einiges passiert, nur leider nicht viel Erfreuliches, über das ich gern berichten würde. Donald Trump hat *nicht* den Friedensnobelpreis gewonnen, was eine gute Nachricht darstellt, doch es ist zu wenig, um gleich den Champagner knallen zu lassen. Insgesamt ist es kalt geworden in der Welt, und damit meine ich nicht das Wetter.
Lasst uns ein bisschen über die USA reden. In der Vergangenheit hatte ich gelegentlich schon meine Neigung erwähnt, mir Videos über das Leben in Amerika anzuschauen. Begonnen hatte dies mit bekloppten Autofahrern, aber inzwischen habe ich meine Neugier auf andere Bereiche ausgedehnt. Vermutlich ist das, was man auf YouTube findet, nicht uneingeschränkt repräsentativ (und als Außenstehender ist man sicher ohnehin etwas voreingenommen); trotzdem wirft die Mehrzahl der Clips kein gutes Licht auf den Geisteszustand von US-Amerikanern.
Ein YouTuber, dem ich kürzlich eine Weile gelauscht habe, hat klarzustellen versucht, dass Amis nicht grundsätzlich strohdoof sind, und ich bin sogar bereit, ihm zu glauben. Allerdings sind sie Teil (d.h. Opfer) eines Systems, in dem - wie soll ich es sagen? - bestimmte Qualitäten unterdrückt werden. Das Ergebnis davon ist, dass sie jetzt glauben, sie wären die größten, und ihr Weg, durchs Leben zu gehen, wäre der einzig korrekte.
Besonders genieße ich dieser Tage Anekdoten, in denen Amerikaner in der weiten Welt unterwegs sind (egal ob als Touristen, d.h. zum Privatvergnügen, oder geschäftsbasiert) und mit Dingen konfrontiert werden, die ihrem eigenen Weltbild widersprechen. Mit einerseits erheiternder und andererseits erschreckender Regelmäßigkeit lese ich Fragen von Amis, warum in den Pyramiden keine Fahrstühle eingebaut wurden und es im Kolosseum kein Walmart gibt, wieso in den peruanischen Anden das WiFi so schlecht ist oder sie in fernöstlichen Meditationszentren kein Happy Meal von McDonald’s bekommen können.
Ein signifikanter Teil der amerikanischen Bevölkerung scheint tatsächlich zu glauben, dass der gesamte Erdball durch Donald Trump regiert wird. (Dass Trump sich selbst für den Weltpräsidenten hält, dem alle anderen Staaten Rechenschaft ablegen müssen, macht die Sache nicht besser.) Sie denken, in jedem Land wird englisch gesprochen, der Dollar uneingeschränkt als Zahlungsmittel akzeptiert, alles kommerzialisiert und exakt nach ihren Bedürfnissen ausgerichtet.
Es geht noch ein Stück weiter. Offenbar wachsen viele US-Bürger in dem Glauben auf, der (amerikanische) Mensch hätte die totale Kontrolle über alles, was da draußen passiert, sei es in der Zivilisation oder in freier Wildbahn. Diese Leute sind dann wirklich und wahrhaftig schockiert, wenn sie miterleben müssen, dass beispielsweise wilde Tiere auf Safaris, Geysire und Polarlichter der Natur überlassen und nicht von Menschenhand gesteuert werden.
Zurück zu den Autofahrern. In einem früheren Artikel hatte ich das Verhalten derselben mit den drei Kerneigenschaften “selbstsüchtig, rücksichtslos und dumm” charakterisiert, und von dieser Einschätzung bin ich nicht abgekommen. Nur scheint es so zu sein, dass dahinter ein viel grundlegenderes Problem steht, nämlich die universelle Lebenseinstellung, man könne immer und überall tun, was man wolle - eine monumentale Fehlinterpretation des Freiheitsprinzips und des amerikanischen Traumes.
Denken wir mal an eine so elementare Sache wie ein Verkehrsschild “Vorfahrt gewähren”. Das englische Wort hierfür lautet “yield”. Weder ein solches Schild noch das zugehörige Wort nimmt der Ami gern hin, denn es bedeutet im Klartext, dass er nicht das Zentrum des Universums ist. In Amerika möchte man in keiner Situation (das gilt im Straßenverkehr genauso wie bei allen anderen Anlässen) hören, dass man nur die Nummer Zwei ist. Deswegen wird im Zweifelsfall Gas gegeben, und die Bescherung ist angerichtet.
Betrachten wir nochmal das Phänomen derjenigen Amis, welche ferne Länder bereisen und dort angesichts ihres limitierten Weltbildes völlig aufgeschmissen sind. Warum ist das so? Wie kommt es, dass Vertreter einer eigentlich hochentwickelten, fortschrittlichen Kultur nicht wissen, dass es auf der Welt auch andere Sprachen, andere Währungen, ja überhaupt andere Gebräuche und Sitten gibt? Wir reden hier über gesunden Menschenverstand, den jeder haben sollte… oder etwa nicht?
US-Amerikaner kommen wie gesagt nicht prinzipiell mit einem niedrigeren IQ auf die Welt. (Das wäre ein amüsanter Gedanke, wenngleich nur so lange, bis man sich in Erinnerung ruft, dass sie über die größte Militärmaschinerie und das zweitgrößte Atomwaffenarsenal der Welt verfügen.) Ich habe eher den Eindruck, dass das amerika-zentrische Weltbild so tief in ihrer Kultur verwurzelt ist, dass man es nicht einfach abschütteln kann. Und dass das hiesige Bildungssystem - vielleicht von einigen Elite-Unis abgesehen - versucht, sie vor der Realität zu “beschützen”.
Es besteht ein genereller Zusammenhang zwischen Weltbild und Bildung. Wenn man z.B. in der Schule oder im Alltag regelmäßig mit der Tatsache konfrontiert würde, dass außerhalb der USA weitere vernunftbegabte Lebewesen existieren, könnte man diese Information langfristig aufschnappen und sich an den Gedanken gewöhnen. Aber echte Bildung in den USA hat zwei Eigenschaften, die sie tendenziell unattraktiv machen: Sie ist teuer, und sie ist nicht unmittelber profitabel. Für praktische Zwecke ein Alptraum.
Natürlich ist Bildung nicht gleich Bildung. Es gibt tatsächlich eine Menge Wissen, das im normalen Leben kaum einen Nutzen hat. Ich würde es zum Beispiel niemandem vorhalten, wenn er die Hauptstadt von Honduras, den Komponisten der Jupiter-Sinfonie oder die chemische Formel von Salpetersäure nicht auf Anhieb benennen könnte. Diese Dinge kann man bei Bedarf nachschlagen; man muss sie nicht unbedingt immer parat haben.
Neben derartigen Wissensbrocken, die man als (nicht zwingend benötigtes) Fachwissen abtun kann, gibt es jedoch noch das, was man oft mit dem Begriff “Allgemeinbildung” zusammenfasst. Mir ist hierfür keine exakte Definition bekannt; ich weiß nicht, wo es genau beginnt und endet, aber in vielen Fällen erkenne ich es, wenn ich es sehe. Und der Umstand, dass nicht die gesamte Schöpfung nach US-amerikanischen Maßstäben erfolgt ist, gehört für mich dazu.
Vor diesem Hintergrund möchte ich mal postulieren, dass der durchschnittliche Ami über eine eher enttäuschende Allgemeinbildung verfügt. Zwar darf YouTube nicht das Maß aller Dinge sein; dennoch glaube ich - auch auf Basis der Aussagen von amerikanischen Autoren und sonstigen Zeitzeugen, mit denen ich vertraut bin - dass das Land tatsächlich in der Breite ein niedriges Bildungslevel hat. Und unter der jetzigen Administration wird hart dafür gearbeitet, dass es immer weiter abwärts geht.
Erneut drängt sich die Frage auf, warum das so ist (bzw. sein muss). Nun, Bildung ist nicht einfach nur eine Ansammlung von Wissen. Bildung ist auch die Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszublicken. Bildung führt dazu, dass Zustände hinterfragt werden. Es ist oft nicht im Interesse der Regierenden, dass ihre Bürger sich die Frage stellen, ob die Dinge wirklich so sein müssen, wie sie sind. Das gilt besonders für konservative Regierungen, denen es am liebsten wäre, wenn sich nix ändert.
Die allgegenwärtige Bremse im Bildungswesen liegt nicht nur Inkompetenz begründet (wobei ich glaube, dass das auch ein Faktor ist). Vielmehr halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass da eine Strategie dahintersteckt. Ungebildete Leute sind nicht einfach nur ungebildet; sie sind manipulierbar. Menschen, die ein Kreuz setzen dürfen, obwohl sie keine Ahnung haben, wie der Hase läuft, sind in Demokratien das ideale Kanonenfutter. Winston Churchill hat angeblich mal gesagt, Demokratie sei die schlechteste aller Regierungsformen, abgesehen von allen anderen. Ich glaube zu verstehen, was er gemeint hat.
Das Zauberwort heißt “Lobbyismus”. Autohersteller reden den Menschen ein, es gehöre zum guten Ton, ein Auto zu besitzen, also will jeder eins haben. Pharmakonzerne behaupten, nur durch hohe Preise bei Medikamenten wäre auch hohe Qualität zu gewährleisten. (Genau genommen müsse das gesamte Gesundheitswesen Wettbewerbscharakter haben, also hat es ihn.) Die Waffenlobby… nein, damit fange ich lieber erst gar nicht an.
All das wurde den US-Bürgern jahrzehntelang dogmatisch eingebläut. Im Grunde verehren die Menschen religiös ein System, das wenige Gewinner und viele Verlierer hervorbringt. Jegliches Gedankengut, das in eine andere Richtung geht, wird spontan mit Sozialismus bzw. Kommunismus gleichgesetzt. Ganz egal, dass da in Wirklichkeit kein Zusammenhang besteht (und im Übrigen viele Leute gar keine Vorstellung davon haben, was sich hinter den Begriffen verbirgt); es handelt sich um das universelle amerikanische Feindbild seit fast 100 Jahren, fertig.
Die Colleges und Unis sind nur ein Teil der Lösung; sie sind gleichzeitig ein Teil des Problems. Denn sie sind in vielerlei Hinsicht genauso kapitalistisch veranlagt wie der Rest des Landes, d.h. sie verbreiten nicht einfach Wissen, sondern sie verkaufen es. Es ist nicht ihre Hauptmotivation, Bildung zu generieren, sondern Geld, und dadurch sind sie gewissermaßen kompromittiert.
Donald Trump hat dem Ganzen die Spitze aufgesetzt, indem er Beleidigungen über Bildung stellt, gewissermaßen Pöbelei als Tugend anerkennt. Unter seiner Führung ist gesunder Menschenverstand nicht mehr gefragt, weil man einfach mit dem Kopf durch die Wand rennen kann - im schlimmsten Fall sogar gegen bestehende Gesetze. Wenn in den heutigen USA Bildung gegen Skrupellosigkeit antritt, gewinnt typischerweise die letztere - und zwar haushoch, mit Leichtigkeit.
All das scheint den Amerikanern (jedenfalls recht vielen von ihnen) nichts auszumachen. Sie glauben wohl immer noch, sie wären die Krone der Schöpfung. Niemand sagt ihnen, dass sie damit im Irrtum sind - wenigstens niemand, auf dessen Meinung sie etwas geben. Wenn es doch jemand tut, dann ist es per Definition jemand, auf dessen Meinung man nichts geben sollte. Ein entzückender Zirkelschluss, den man aber nur erkennen kann, wenn man über eine entsprechende Bildung verfügt, und damit stehen wir wieder am Anfang.
Zufällig bin ich letztens (übrigens ebenfalls auf YouTube) auf die Szene “Can you say why America is the greatest country in the world?” aus der TV-Serie “The Newsroom” gestoßen. Ich kannte die Serie nicht, aber diese eine Szene war ein Augenöffner; ihr solltet sie euch unbedingt mal anschauen. Jeff Daniels erklärt dem Publikum in weniger als fünf Minuten, warum sie mit der obigen Lebenseinstellung im Unrecht sind - ein Augenöffner.
Warum erzähle ich das alles? Vermutlich denkt ihr jetzt, ich möchte euch spontan an meinen gesammelten Vorurteilen über die USA teilhaben lassen. Und das ist nicht mal falsch; ich habe wirklich aktuell eine ganz schlechte Meinung von den USA. Allerdings nicht nur in Form von Donald Trump (obwohl ich diesen Namen im obigen Kontext gern regelmäßig nenne). Nein, die jüngste amerikanische Entwicklung bringt vielmehr eine große Masse von Karoline Leavitts hervor - Leute, die zwar kein Hirn, aber eine umso stärkere Überzeugung haben, und die uns auch nach Trump noch lange erhalten bleiben werden.
Der wahre Grund in meiner Tirade liegt jedoch in der Befürchtung, dass uns in Deutschland (und ggf. in zahlreichen weiteren Ländern der westlichen Welt) ein ähnliches Schicksal blüht. All das, was wir dort bereits umgesetzt sehen, könnte hierzulande vor uns liegen. Die letzten Bundestagswahlen werfen ihre Schatten voraus; noch ein paar wenige Legislaturperioden, dann könnte ein Alexander Gauland, ein Tino Chrupalla oder eine gleichgestrickte Gestalt an unserer Spitze stehen.
Mit der Bildung in Deutschland geht es allmählich bergab. Unsere gegenwärtigen Politiker reden die Sache gern schön, aber wie es in dem oben erwähnten Video so schön heißt: “Der erste Schritt, um ein Problem zu lösen, ist zu erkennen, dass es eins gibt.” Wir dürfen uns nicht einfach damit arrangieren, wir sollten reagieren und die Entwicklung bekämpfen. Tut dies die Politik? Fehlanzeige.
Die AfD profitiert davon. CDU/CSU tun so, als würde sie nicht davon profitieren; andererseits tun sie auch so, als wären sie nicht bereit, mit der AfD zu kollaborieren, also sollte man darauf nicht viel geben. Mittlerweile werden Querdenker für Denker gehalten, Verschwörungstheoretiker für ihr Weltverständnis bewundert, Reichsbürger und Extremisten als Patrioten gefeiert. In manchen sozialen Netzwerk gilt “ungeimpft” als Qualitätssiegel, und ich warte nur auf den Tag, an dem Beatrix von Storch bei “Germany’s Next Topmodel” antritt.
Den Rückgang an Bildung sehe ich als Vorboten einer extrem gefährlichen Strömung an. Auf der einen Seite haben wir eine kontinuierliche Verdummung der Bevölkerung, und auf der anderen Seite Menschen, die sich nicht nur wünschen, dass Deutschland seine Grenzen immer dichter macht, sondern die es auch gut finden, wenn vermummte Gestalten die bereits vorhandenen Einwanderer wieder hinausprügeln. Das alles hängt zusammen, und es macht mir Angst.