Saturday, July 27, 2024

Besser spät als nie

Es gibt Hoffnung auf der Welt. Joe Biden hat sich aus dem US-amerikanischen Wahlkampf zurückgezogen - recht spät, doch immerhin solange er noch weiß, worum es geht und gegen wen. Es ist davon auszugehen, dass Kamala Harris an seiner Stelle für die Demokraten antreten wird. Ob sie die Wahl gewinnen kann, steht auf einem anderen Blatt, aber sie versammelt eine breite Masse an Unterstützern hinter sich und ist zudem in der Lage, fehlerfrei ganze Sätze zu bilden, womit sie nach jetzigem Stand zumindest eine faire Chance hat.

Man sollte Biden für seine schwere Entscheidung nicht zu sehr zujubeln, denn er hat diesen Schritt nicht freiwillig getan. Über weite Strecken war er fest entschlossen, für eine zweite Amtszeit als Präsident zu kandidieren, obwohl das Alter seine Spuren hinterlassen hat und nach außen hin sehr deutlich sichtbar wurde, dass er nicht mehr das besitzt, was man braucht, um die Geschicke eines Landes zu steuern. Erst als der Druck zu groß wurde, hatte er so etwas wie ein Einsehen.

Immerhin ist er den Schritt überhaupt gegangen, womit er sich von vielen namhaften Politikern auf der ganzen Welt unterscheidet. Viele Staatsoberhäupter kleben so fest an ihren Ämtern, wie es die Letzte Generation an Flughafen-Rollbahnen tut, und augenscheinlich ist ihnen dabei egal, ob sie ihr ganzes Land mit herunterziehen. Um das zu erkennen, genügt es leider, nach Polen zu schauen, nach Frankreich, oder fairerweise auch in unsere eigenen Reihen, denn in Deutschland sieht es kaum besser aus.

Es gab eine Zeit, da wurde Politik zu einem nicht unwesentlichen Teil durch Kompromisse geprägt. Wenn beispielsweise eine Seite eine 60:40-Mehrheit besaß, so ging sie 1 oder 2 Schritte auf die andere Seite zu. Die Minderheit kam 3 bis 4 Schritte entgegen, und so traf man sich - nicht genau in der Mitte, aber doch irgendwo in der Nähe. Von diesem Bild haben wir uns allmählich verabschiedet, und mittlerweile ist fast nichts mehr davon übrig.

Ist euch mal aufgefallen, dass es in unserem Teil der Welt nach Wahlen regelmäßig Monate dauert, bis sich eine neue Regierung gebildet hat? Heutzutage geht es schon als Kompromiss durch, wenn eine Seite die andere fragt, ob letztere vielleicht ihre Meinung geändert hat. Jede mehrheitsfähige Gruppierung freut sich ein Loch in den Bauch, dass sie 0 (in Worten: NULL) Schritte auf ihre Gegner zugehen muss. Dummerweise werden Mehrheiten generell immer seltener, sobald mehr als zwei Parteien am Werk sind (was in vielen europäischen Staaten der Fall ist), und da haben wir den Salat.

Wie übel es werden kann, wenn mindestens drei unvereinbare Standpunkte kollidieren, machen uns die Franzosen gerade mustergültig vor. Marine Le Pen - eine Frau, die eigentlich im von Lewis Carroll beschriebenen Stil “unterbunden” werden müsste - hat unlängst angekündigt, dass sie effektiv alles ablehnen will, was nicht exakt ihren Wünschen entspricht. Das Land geht auf einen katastrophalen Stillstand zu, und daran ändern auch irgendwelche aufgehübschten Olympia-Bilder nix.

Eigentlich hat der Stillstand schon fast die gesamte westliche Welt eingehüllt. Herrschende Regime in Ländern wie Russland oder China machen Fortschritte, weil sie sich nicht ständig mit jemandem einigen müssen. Wenn z.B. ein Chinese nach Deutschland kommt, wird er sich im Großen und Ganzen hier zurechtfinden, nur das Wesen einer FDP muss man ihm erst erklären. Man kann deren Modell wohl kaum gut finden, wenn man ein Leben in Freiheit gewöhnt ist, doch es ist unbestreitbar effektiver.

Wie schwer es den Menschen fällt, Dinge zu akzeptieren, die nicht nach ihren eigenen Vorstellungen verlaufen, sieht man übrigens auch außerhalb der Politik. Nachdem Deutschland in der Fußball-EM gegen Spanien ausgeschieden war, wurde allen Ernstes eine Petition ins Leben gerufen, um das Spiel wegen ein paar unpopulärer Schiedsrichterentscheidungen wiederholen zu lassen, und Hundertausende haben unterschrieben. Nur Verrückte!

Zurück zur US-Wahl. Käme Donald Trump ein zweites Mal an die Spitze, wäre die Folge wohl kaum Stillstand, sondern entweder direkt der Untergang oder alternativ ein gewaltiger Sprung zurück, gefühlt bis ins finstere Mittelalter. Ich halte es durchaus für denkbar, dass er sein Land von einer grundsätzlich freiheitlichen Gesellschaft in eine diktatorische umwandeln würde. Deswegen bin ich dankbar, dass Kamala Harris jetzt die Nummer Eins bei den Demokraten ist. Kann sie die Amerikalypse noch aufhalten? Wir werden sehen.