Monday, October 14, 2024

Ein ganz normaler Tag im Paradies

Vorhin habe ich mich wieder einmal in Lebensgefahr gebracht. Zu einem Zeitpunkt, als gerade reges Verkehrstreiben herrschte, gedachte ich eine von Hamburgs Hauptstraßen zu überqueren. Ich tat dies an einer Ampel (und ich hatte Grün), aber Linksabbieger im Berufsverkehr sind ein besonderer Menschenschlag, da gelten andere Regeln. Jetzt sitze ich wieder zu Hause auf meiner Couch, verdaue die Nahtoderfahrung und erfreue mich an den kleinen Dingen des Lebens.

Eigentlich lebe ich gern in einer Großstadt. Hier gibt es Geschäfte und Filialen jedweder Art, und so ziemlich alle, die mir in den Sinn kommen, sind sogar fußläufig erreichbar. Ich genieße die vielfältigen Möglichkeiten, die mir eine Metropole bietet, insbesondere wenn selbige gleichzeitig noch ruhige, beschauliche Ecken aufweist. Nur die Menschen sind ein Problem. Die meisten von ihnen sollte man dauerhaft aus dem öffentlichen Raum verbannen. Denn sie verhalten sich, als wären sie allein auf der Welt, und wenn zwei Millionen dies gleichzeitig tun, kann das nicht gut gehen.

Neben denjenigen, die einfach nach außen hin rücksichtslos durch die Welt brettern, gibt es auch eine beträchtliche, anscheinend wachsende Zahl von Mitbürgern, die - wie soll ich es sagen - ein inneres Problem haben. Sie sprechen nicht nur mit der Luft neben sich, sondern schreien diese regelrecht an, am helllichten Tag, umgeben von anderen Personen, die dieser einseitigen Form der Konversation verständlicherweise nur schwer folgen können. Um in der Großstadt zu überleben, ohne einen Hirnschaden zu bekommen, muss man abgebrüht sein.

Auf keinen Fall darf man solchen Leuten Beachtung schenken, weil sie das nur bestärkt. Als mich einer von ihnen mal in der U-Bahn grüßte, als ob wir alte Freunde seien, machte ich den Fehler, zurück zu grüßen. Die Konsequenz davon war, dass er mir für den Rest unserer gemeinsamen Fahrt verschiedene Episoden aus seinem Leben erzählte, die mich allesamt nicht interessierten. Ich las ein Buch (und hielt es absichtlich so, dass für Normalsterbliche unschwer zu erkennen war, dass die Lektüre meine volle und ungeteilte Aufmerksamkeit hatte), aber das half nicht.

Zum Glück lernt man auf diese Weise seine Lektion. Inzwischen schaffe ich es, die Leute zu ignorieren, die mich für ihren ganz privaten Psychiater halten, während ich mich von A nach B bewege. Und trotzdem bin ich über jeden Tag froh, an dem ich einer derartigen Herausforderung von vornherein gar nicht ausgesetzt bin. Das Leben ist bereits anstrengend genug, selbst ohne die Real-Life-Version von “Einer flog über das Kuckucksnest”.

Wenn ich die Chance habe, begebe ich mich an Orte, von denen sich die Verrückten entweder freiwillig fernhalten, oder wo sie nicht hereingelassen werden. Flughäfen sind zum Beispiel eine tolle Sache. Dort achtet das Personal geringfügig stärker als an anderen öffentlichen Plätzen darauf, dass alles seine Ordnung hat. Und falls jemand beschließen sollte, ernsthaft am Rad zu drehen, schiebt man ihm seine Ohren bis zum Anschlag in die Nasenlöcher und führt ihn ab. Flughäfen wären ideal zum Entspannen, wenn da nicht die Flugzeuge wären. Denn leider sind die restlichen Personen im Terminal genauso rücksichtslos wie draußen, nur dass jeder zusätzlich zwei Koffer hinter sich herzieht.

Eine Alternative sind große Märkte. Ich liebe Märkte. Egal wie viele Verrückte hineingehen, man findet immer einen leeren Gang, wo man sich vor ihnen verstecken kann. Deswegen gehe ich am liebsten in die riesigen Supermarktfilialen zum Einkaufen. Es hat natürlich seinen Reiz, auf einem Regal von der Länge einer Bowlingbahn zwischen dreitausend Käsesorten wählen zu können, die außer einem matten Gelbton und dem horrenden Preis von etwa einem Euro pro Scheibe nix gemeinsam haben. Die Verrückten auf der anderen Seite der Tür sind jedoch der wahre Grund, warum man dorthin gehen sollte.

Heute war ich nicht in einem Supermarkt, sondern einem Baumarkt, aber es lief fast auf dasselbe hinaus. Die meiste Zeit über hatte ich eine halbe Etage für mich allein. Den Artikel, den ich suchte, fand ich erst nach ungefähr 40 Minuten, und auch dann erst nach dreimaliger Inanspruchnahme eines Mitarbeiters. (Der erste konnte keine Auskunft geben; der zweite schickte mich zum völlig falschen Regal, doch immerhin war er dabei sehr freundlich. Man kann nicht alles haben.)

Die Selbstbedienungskasse war eine herbe Enttäuschung. Grundsätzlich mag ich Selbstbedienungskassen. Wir leben im 21. Jahrhundert, und es ist in meinen Augen kein abwegiger Gedanke, dass das Servicepersonal primär diejenigen Aufgaben übernehmen sollte, die der Kunde nicht selbst erledigen kann. Leider war die Technik im aktuellen Fall denkbar unkooperativ, aber vermutlich denkt die Technik das gleiche über mich, also belassen wir es einfach bei der Feststellung, dass wir nicht auf einer Wellenlänge waren.

Auf dem Nachhauseweg kam es dann zu der Situation, die ich eingangs beschrieben habe. Und so ergab es sich, dass ich ein ungeheures Gefühl der Erleichterung verspürte, als ich endlich wieder zu Hause war. Es geht doch wahrlich nichts über ein trautes Heim. Meine Möbel quasseln mich nicht ungefragt voll; sie versuchen nicht, mich zu überfahren, und sie schicken mich auch nicht ins Badezimmer, wenn ich eigentlich etwas aus dem Kühlschrank holen will. Home, sweet home.