Saturday, February 15, 2025

Was vom Bundestage übrig blieb

Während ich eigentlich den Umstand genieße, dass ich am vergangenen Wochenende gefühlt das erste Mal seit Jahren in einem pünktlichen ICE reisen durfte, wird mir plötzlich schlagartig bewusst, dass wir keine Regierung mehr haben. Der 20. Bundestag ist Geschichte - nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch. Die Abgeordneten durften reihum noch eine Erklärung abgeben, warum aus ihrer Sicht alle anderen schuld sind, dann wurden ein paar Hände geschüttelt, und schließlich sind alle nach Hause gegangen. Das Licht ausmachen durfte vermutlich Bärbel Bas (offiziell Bundestagspräsidentin). Bis vor diesem Artikel hatte ich gar nicht gewusst, dass es diese Frau gibt, und jetzt gibt es sie effektiv auch nicht mehr.

Die Neuwahl fällt fast mit dem Karneval zusammen. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll; insbesondere Olaf Scholz scheint das mit der “Hofnarrenfreiheit” jedenfalls etwas zu wörtlich zu nehmen. Aber es ist nicht das erste Mal und wird nicht das letzte Mal sein, dass ein Politiker einen anderen beleidigt. Im Grunde ist der besagte Vorfall nur eine Gelegenheit für die CDU-Spitze, sich als Unschuldslämmer zu präsentieren. Das gehört zu den Dingen, die sie am besten beherrschen, und sollte unser Bild von ihnen nicht verzerren.

Wen kann man dieser Tage noch guten Gewissens wählen? Eine schwierige Frage. Wenn es die perfekte Partei gäbe, deren Vertreter nicht nur ausnahmslos nett und sympathisch wären, sondern die gleich noch für alle Probleme eine simple, billige und leicht umsetzbare Lösung anzubieten hätten, dann würde sie sicher mit großer Mehrheit gewählt werden. In der Realität vertritt leider jede Partei zu mindestens einem zentralen Thema eine, sagen wir, exotische Position, so dass der Bürger (zurecht) das Gefühl hat, nur das kleinste Übel zu wählen. Um euch die Entscheidung etwas zu erleichtern, möchte ich euch daher meinen persönlichen, sehr reduzierten Wahl-O-Maten vorstellen:

  • Wenn euch das Morgen wichtiger als das Heute ist, wählt die Grünen.
  • Wenn euch das Heute wichtiger als das Morgen ist, und euch das Gestern sogar noch lieber wäre, dann wählt die CDU.
  • Wenn ihr nicht wisst, was ihr wollt, und euch nirgendwo festlegen könnt, wählt die SPD.
  • Wenn ihr nicht wisst, was ihr wollt, aber definitiv wisst, was ihr alles nicht wollt, wählt die FDP.
  • Wenn ihr der Meinung seid, dass in der Politik zur Zeit alles blöd ist, wählt die Linken.
  • Wenn ihr der Meinung seid, dass alles blöd ist, aber die Linken auch, dann wählt das BSW.
  • Wenn ihr eure Mitmenschen hasst und das demokratische Modell ganz ablehnt, wählt die AfD.

Wenn doch alles so einfach wäre…

Natürlich ist es das nicht. Aus dem Wahlergebnis muss letztendlich ja noch eine Regierung gebildet werden, und die Vielfalt an politischen Standpunkten macht das nahezu unmöglich, wie wir seit einiger Zeit immer wieder schmerzlich erfahren. Die Parteien sind mittlerweile kaum gewillt, miteinander zu reden, geschweige denn zu koalieren. Sofern man nicht gemeinsame Sache mit der AfD macht, reicht es nicht für eine Mehrheit. Wenn man nur einen Funken Anstand im Leib hat (eine Bürde, von der sich die CDU allmählich zu befreien weiß), dann zieht man ein solches Bündnis nicht in Erwägung.

Ich gehe im Geiste mal 20 bis 30 Jahre zurück - ungefähr in die Zeit, in der ich begonnen habe, die Politik etwas intensiver zu verfolgen. In jenen Jahren hatten wir Schwarz-Gelb vs. Rot-Grün, am Spielfeldrand stand außerdem noch die PDS/Linke, und das war es eigentlich. Es ist nicht so, dass wir tolle Regierungen bekommen haben, doch zumindest wusste man immer schnell, welche Koalition die nötigen Stimmen besaß. Mit der Zeit ging es in der Mitte abwärts und an den Seiten aufwärts, so dass es bei diesen beiden Kombos irgendwann nicht mehr reichte. Das brachte für einen kurzen Zeitraum die GroKo auf den Plan, aber auch sie konnte den Trend nicht stoppen.

Schon damals schossen Politiker regelmäßig mit ihren Äußerungen übers Ziel hinaus und griffen ihre Gegner oder mitunter einfach das Volk an, wenn es mal nicht lief. Damit erwiesen sie sich selbst, ihren Parteien und dem Land einen Bärendienst (einen Problembärendienst, wie es ein früherer CSU-Kanzleranwärter formulieren würde, bevor er in den Münchner Hauptbahnhof einstieg und sich selbst nach Brüssel abschob). Denn die Menschen verloren das Vertrauen in Politik und haben es nach meiner Wahrnehmung seitdem auch nicht wiedergefunden.

In dem heute herrschenden Durcheinander, welches der bunte Blumenstrauß an Parteien nun mal mit sich bringt, fehlen bei einem Bündnis aus zwei Parteien die Prozente. Und bei drei oder mehr Koalitionspartnern gehen die Meinungen schlichtweg zu weit auseinander, um eine tragfähige Regierung zu bilden. Solche Bündnisse scheinen angesichts der herrschenden Uneinigkeit und Uneinsichtigkeit von vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein, wie die Ampel uns jüngst gezeigt hat. Um dem Problem der Zersplitterung des Bundestages vorzubeugen, wurde (wie ich annehme) vor langer Zeit die Fünf-Prozent-Hürde eingeführt. Sie betrifft diverse kleinere Parteien mit einer gewissen Daseinsberechtigung sowie die FDP und soll vermutlich dafür sorgen, dass das Spektrum an Regierungsmitbewerbern nach einer Wahl überschaubar bleibt.

Das derzeitige Chaos kann die Fünf-Prozent-Regel nicht verhindern. Trotzdem streiten sich die Parteien erbittert um die Rechtmäßigkeit der Fünf-Prozent-Klausel bzw. seit Kurzem um die der Gegenregel (Einzug in den Bundestag über drei Direktmandate). Könnte es etwas damit zu tun haben, dass Abgeordnete einen gigantischen Batzen Geld für ihr Nichtstun bekommen, sowohl während ihrer Zeit im Bundestag als auch danach? Man könnte fast auf den Gedanken kommen, den Politikern wäre ihr eigenes Wohl wichtiger als das Wohl das Landes, welches ihren Zoff letztendlich ausbaden muss.

Für diejenigen, die jetzt glauben, es käme sowieso nicht drauf an, wem man sein Kreuz gibt, hier eine wahre Geschichte aus meiner Zeit an der Uni. Zwei Kommilitonen von mir - nennen wir sie A und B - bewarben sich an dem Institut, an dem ich studierte, für denselben Fachschaftsposten. Ich war mit beiden gut befreundet, aber mit A noch ein bisschen besser, also beschloss ich diplomatisch, von den drei mir zur Verfügung stehenden Stimmen zwei an A und eine an B zu vergeben. Als das Ergebnis verkündet wurde, hieß es, A hätte die Wahl mit einer Stimme Vorsprung vor B gewonnen.

Ein derart knappes Resultat ist bei einer Bundestagswahl natürlich undenkbar. In der Regel liegen die Abstände zwischen den Stimmen mindestens im vier- oder fünfstelligen Bereich (so geschehen 2002) und meistens noch höher. Kann man also als Einzelperson gar nichts mehr bewirken? Kann man gleich aufs Wählen verzichten, wenn es sowieso keinen Unterschied macht? Das wäre eine schlechte Idee, denn dadurch würden die Parteien mit Extrempositionen an Stärke gewinnen, so wie wir es schon seit mehreren Legislaturperioden bei der AfD beobachten.

Ich möchte hier kurz an den Kategorischen Imperativ erinnern - in meinen Augen einer der fortschrittlichsten Denkansätze seit Anbeginn der Zivilisation. Stark vereinfacht besagt er, dass man auf eine Weise handeln soll, die man für gut befände, wenn sich alle anderen (bzw. zumindest alle Gleichgesinnten) genauso verhalten würden. Nicht zu wählen ist schon deshalb fragwürdig, weil es kein gutes Ende nehmen wird, wenn das alle täten. Der Kategorische Imperativ wurde zwar ursprünglich als Leitsatz für moralische und nicht für praktische Entscheidungen aufgestellt, doch ich glaube, dass er hier ebenfalls anwendbar ist.

Fazit: Vieles, was derzeit auf der politischen Bühne passiert, ist nicht auf die Bedürfnisse der Bürger ausgerichtet. Parlamentarier und solche, die es werden wollen, tragen ihre Streitigkeiten auf dem Rücken der Bevölkerung aus, ohne Bewusstsein für die Gegenwart, ohne Plan für die Zukunft, und inzwischen auch ohne Rücksicht auf Verluste. Dennoch sollten wir die Möglichkeiten, die uns gegeben sind, nach besten Kräften nutzen. Jeder Mensch hat eine Stimme, und es liegt an uns, sie zu erheben.