Monday, February 24, 2025
Ein Abend, viele Stimmen
Hinter uns liegt ein spannender Wahltag. Gleich vorneweg: Es gibt gute und schlechte Nachrichten. Schlimm ist, dass die AfD über 20 Prozent bekommen hat. Positiv nehme ich hingegen auf, dass ein paar Gestalten verschwunden sind, auf die ich gerne verzichten kann. (Vor meinem inneren Auge sehe ich ein Schild mit dem Konterfei von Christian Lindner und dem Schriftzug “Wir müssen draußen bleiben” an der Tür zum Plenarsaal hängen.) Wie so oft liegen Licht und Schatten eng beieinander.
Gestern habe ich am Fernseher geklebt, wie ich es nur selten tue, wobei ich die Entwicklungen größtenteils im ARD verfolgt habe. Irgendeine Grinsrübe hat dort schon zeitig am Nachmittag “stundenlang politische Spannung” angekündigt, als ob das etwas Gutes wäre. Ab 18 Uhr ging es dann richtig los, zuerst koordiniert, später immer chaotischer. In der Theorie war es wohl das Anliegen des Senders, möglichst viele Meinungen und Wortmeldungen einzuholen. In der Realität lief es allerdings mehrfach darauf hinaus, dass der aktuelle Sprecher unterbrochen wurde, nur um eine minimal korrigierte Hochrechnung einzublenden (selbst wenn diese zu dem Zeitpunkt nicht einmal fertiggestellt war).
Kommen wir zu den Stimmen der einzelnen Volksvertreter, die ich für euch kurz zusammenfassen möchte. Zuerst war Carsten Linnemann (CDU) an der Reihe. Für praktische Zwecke hat er immer nur “Die Ampel ist abgewählt”, “Es muss einen Politikwechsel geben”, “Deutschland braucht Friedrich Merz” und dergleichen gebrabbelt - und zwar unabhängig von der Frage, die man ihm gestellt hat. Danach ging es zu Alexander Dobrindt (CSU), der sich mehr oder weniger identisch ausgedrückt hat. Man hätte die beiden nach den Lottozahlen oder nach dem Wetter fragen können, sie hätten trotzdem nur über Politikwechsel geredet.
Danach war Matthias Miersch (SPD) an der Reihe, der sich primär bei den zahlreichen Wahlhelfern bedankt hat, bevor er zu einer Trauerarie mit dem Titel “Ein bitterer Abend” ansetzte. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht mehr genau, was er noch gesagt hat, aber zumindest sein Gesicht war mit diesen drei Worten gut zusammengefasst. Um es mal vorwegzunehmen, dies traf auch auf alle sonstigen SPD-Mitglieder zu, die später im Laufe des Abends eingeblendet wurden.
Es folgte Alice Weidel (AfD). Schon im Wahlkampf hatte sie kaum Faktenreiches zur Diskussion beizutragen, und gestern ebensowenig. Nach dem prägnanten Einstiegssatz “Wir haben uns verdoppeln können”, den man sich eigentlich für zukünftige Horrorfilme aufheben sollte, ging ihr besonders das Wort “Politikwechsel” sehr häufig von den Lippen. Vermutlich wollte sie sich bei der Union anbiedern. Mit Äußerungen wie “Wir sind bereit, Politik für unser Land zu machen” machte sie das Phrasenschwein ein Stück reicher, und dazwischen ließ sie auch versehentlich die Worthülse “konstruktiv” fallen, aber das war es dann im Wesentlichen schon.
Von ihr wurde zügig zu Heidi Reichinnek (Linke) geschaltet. Aus ihr sprudelten die Worte nur so heraus, beginnend mit “Ein unglaublicher Erfolg”, bis hin zu einer Gesamtaufnahme des kompletten Wahlprogramms ihrer Partei. Am Ende resümierte sie “Alle wollen regieren, wir wollen verändern” und “Egal ob Regierung oder Opposition, wir werden unsere Themen nach vorn tragen”. Schön gesagt, doch auf sie hören wird trotzdem niemand.
Dann kam Felix Banaszak (Grüne), von dem ich schon mal eine höhere Meinung als am gestrigen Tag hatte. “Wir sind bereit, weiter Verantwortung zu tragen”, sagte er im Brustton der Überzeugung, bevor er dazu überging, über die schwierige Lage in Deutschland zu schwafeln, über den Rechtsruck sowie ein paar weitere unerfreuliche Themen. Letztendlich hat er die politische Siuation ziemlich gut zusammengefasst, dabei jedoch irgendwie vergessen, den Teil zu erwähnen, für den es die Grünen braucht. Mir kam es fast so vor, als wolle er in die Fußstapfen der FDP treten.
Wenn man vom Teufel spricht: Im Studio wartete bereits Wolfgang Kubicki (FDP). Der wirkte erstaunlich offen; beispielsweise meinte er unverblümt “Ich bin es gewöhnt”, als es um Wahlenttäuschungen für die FDP ging. Darüber hinaus tat er das, was man in seiner Partei am besten kann; er legte sich nirgends fest und hatte keinen Plan für die Zukunft, konnte aber schon mal klar darlegen, was es alles nicht geben darf (eine Zusammenarbeit mit den Grünen). Nun, im Idealfall hat er jetzt vier Jahre Zeit, über die Bedeutung der sogenannten Liberalen nachzudenken.
Den Abschluss der ersten Runde durchs Parteienspektrum machte Amira Mohamed Ali (BSW). “Wir glauben, dass es sehr wichtig ist, dass wir da sind”, betonte sie. Allerdings sind sie das jetzt doch nicht, insofern war ohnehin alles weitere egal, was sie danach verlauten ließ. Von hier an wurden die Beiträge immer kürzer, und es wurde immer schneller hin- und hergeschaltet. Das ist durchaus nachvollziehbar, denn inzwischen war alles gesagt worden (nur noch nicht von jedem, wie es Karl Valentin einmal formuliert hatte).
Ein Schnelldurchlauf durch die restlichen Sprecher (jedenfalls in der ersten Stunde der Sendung, danach war ich nicht mehr richtig aufmerksam):
- Bernd Baumann (AfD) griff das “Wir haben uns fast verdoppeln können” von Alice Weidel auf, bevor er den Ehrenkodex der CDU zur Sprache brachte. Für den Fall, dass Friedrich Merz die AfD-Vorstellung von Ehre nicht einhalten würde, hieß es von ihm “Personen sind ersetzbar, auch in der CDU”. Kurz danach wurde er wieder diplomatischer: “Es braucht gar keine Koalition, der Herr Merz muss nur die Gesetzesentwürfe einbringen, wir sind ja da. Das sind eh unsere Entwürfe.” Zum Glück hatte die Regie ein Einsehen.
- Hier hätte Olaf Scholz (SPD) drankommen sollen, aber der war gar nicht zu sehen, also ging es stattdessen erstmal zu Robert Habeck (Grüne). Letzterer hatte gerade ein Mikro in der Hand, dankte allen und wirkt gar nicht so deprimiert, wie es eigentlich der Situation angemessen wäre.
- Als nächstes fand eine Live-Schaltung zu Friedrich Merz statt, der soeben im Konrad-Adenauer-Haus die Bühne betrat. Er sprach von einem “historischen Wahlabend” und einem “klaren Regierungsauftrag”, sagte Dinge wie “Wir haben die Wahl gewonnen”, “Danke für das Vertrauen” und noch so einiges mehr. Ich bin überzeugt davon, dass jedes einzelne seiner Worte von früheren CDU-Kanzlerkandidaten geklaut war; die Sache mit dem Regierungsauftrag habe ich beispielsweise von Armin Laschet im Ohr (nach der Wahl von 2021, welche die Union nicht mal gewonnen hatte). Mit Sätzen wie “Ich weiß, dass es nicht einfach werden wird” und “Die Welt da draußen wartet nicht auf uns” - zwei Feststellungen, die gleichermaßen korrekt wie nutzlos sind, wenn sie nicht durch Taten untermauert werden - beschloss Merz seine Siegesrede bzw. zumindest den Teil davon, der im ARD übertragen wurde.
- Es ging zurück ins Willy-Brandt-Haus, wo Olaf Scholz mittlerweile ins Rampenlicht getreten war. Nachdem er wie seine SPD-Vorredner das Wahlergebnis als bitter dargestellt hatte, dankte er den Wahlhelfern, gratulierte Friedrich Merz, übernahm halbherzig Verantwortung und machte aus der Not eine Tugend, indem er vor der AfD warnte. Nicht die schlechteste Reaktion, wie ich finde.
- Zurück ins Konrad-Adenauer-Haus, wo jetzt Markus Söder (CSU) sprechen durfte. Er sagte nix, was wir nicht kurz zuvor schon gehört hatten, nur eben auf Bayrisch.
- Im Studio wiederholte Thorsten Frei (CDU) ein weiteres Mal das gleiche CDU-Gedöns, und konkret das Wort “Politikwechsel” konnte ich inzwischen nicht mehr hören. In einem lichten Moment forderte er die Parteien auf, die Interessen des Landes über die eigenen Interessen zu stellen. Zum Abschluss wetterte er gegen die Grünen, mit denen der Politikwechsel in seinen Augen unmöglich ist. Charakterstärke sieht anders aus.
- Jan van Aken (Linke) bekam ein wenig Sprechzeit, um das “Wir wollen verändern” von Heidi Reichinnek zu wiederholen. Ganz kurz wurde Sahra Wagenknecht (BSW) mit dem Satz “Das ist vielleicht eine Niederlage, aber es ist nicht das Ende des BSW” eingespielt.
- Robert Habeck stand schließlich ebenfalls noch für eine Stellungnahme im kleineren Kreis zur Verfügung. Zu Beginn redete er die Dinge etwas schön (”Die Mitte ist insgesamt geschwächt, da muss sich jeder an die eigene Nase fassen”), am Ende zog er über Friedrich Merz her, insbesondere was dessen Abstimmungsverhalten im Schulterschluss mit der AfD und die Äußerung am Abend vor der Wahl über “grüne und linke Spinner” angeht. Mit den Worten “Er muss wie ein Bundeskanzler handeln, nicht wie ein sauerländischer… Was-Auch-Immer” hat er es ihm zurückgegeben.
Es folgten noch weitere Stimmen, aber sie hatten immer weniger zu sagen. Innerhalb der Parteien waren die Statements für die Kamera nicht nur ähnlich, sondern teilweise regelrecht deckungsgleich, d.h. sie wirkten nicht gerade aufrichtig, vielmehr einstudiert. Außerdem wurde mit zunehmender Sendezeit immer mehr gestichelt: Boris Pistorius (SPD) gegen die AfD, Annalena Baerbock (Grüne) gegen CDU/CSU und AfD, Markus Söder gegen Robert Habeck, und so weiter und so fort.
Was nehmen wir von alldem mit: Einmal abgesehen davon, dass jede Partei ihren eigenen Wortschatz besitzt (und diesen auch ständig ungefragt raushaut), sind wir im Übrigen über die Schuldzuweisungen bisher nicht wirklich hinweggekommen. Jeder will etwas, viele fordern etwas, aber nur wenige sind bereit, auf etwas zu verzichten. In der Hinsicht scheinen sich die Dinge nie zu ändern. Ich bin gespannt, ob die neue Regierung - sobald sie denn steht - tatsächlich etwas bewegt oder wieder nur Phrasen drischt und Stillstand in hohem Tempo zelebriert.
In Sachen Wahlergebnis waren die Prognosen und Hochrechnungen unter dem Strich überraschend genau, was in zweierlei Hinsicht eine positive Sache ist. Zum einen zeigt es, dass man bei der ARD zwar nicht gescheit Regie führen, jedoch immerhin rechnen kann. Zum anderen könnte die Regierungsbildung einfacher werden als ursprünglich befürchtet. Im Moment sieht es stark nach Schwarz-Rot aus; vielen Dank an die FDP dafür, dass sie uns durch ihre Abwesenheit diese Tür geöffnet hat.