Friday, October 10, 2025
Loch ohne Boden
Gelegentlich werde ich Zeuge, wie in meiner Wohngegend eine - wahrscheinlich von der Stadt angestellte - Gruppe von Arbeitern (sagen wir, aus fünf Männern bestehend) eine Grünfläche bearbeitet bzw. pflegt. Von den besagten fünf Personen rennt einer mit einem lauten Laubbläser ein paar Blättern hinterher. Ein zweiter füllt mit abgebrochenen Ästen einen Häcksler von Ausmaßen, bei denen ich unwillkürlich an den Film “Fargo” von den Coen-Brüdern denken muss. Der dritte zieht vorsichtig eine Harke durch ein Rasenstück; der vierte steht mit einem Klemmbrett unter dem Arm in der Nähe herum und sieht damit irrsinnig wichtig aus; der fünfte betreut die Zuschauer.
So ziemlich alles an der Performance wirkt total übertrieben: die Anzahl der Arbeiter, die Größe der Ausrüstung, die Dauer der Maßnahme. Üblicherweise handelt es sich um das Äquivalent eines kleinen Gartens und damit um eine Tätigkeit, die ein oder zwei qualifizierte Personen ohne allzu fortschrittliches Equipment schneller erledigen könnten. Dergleichen geschieht möglicherweise auf einer regelmäßigen Basis, aber das kann ich aus dem Stand schwer sagen; ich gebe freimütig zu, dass ich mir nicht über Jahre hinweg jeden Tag im Kalender ankreuze, an dem eine Kommune Geld zum Fenster hinauswirft.
Ich möchte euch eine wahre Geschichte erzählen. Vor reichlich einem Jahr erhielt ich ein Schreiben von Vodafone, meinem derzeitigen Telefon-, Internet- und Mobilfunkanbieter. (Gleich vorneweg möchte ich klarstellen, dass ich den vorliegenden Artikel nicht verfasst habe, um Werbung für Vodafone zu machen. Im Gegenteil - wie ihr beim Lesen der folgenden Absätze relativ schnell erkennen werdet, kann ich dem Unternehmen so ziemlich gar nichts abgewinnen. Nur ist es leider so, dass in dieser Branche ein Anbieterwechsel ungefähr genauso unerfreulich ist wie die längere Verbundenheit mit einem einzigen Anbieter… Pest und Cholera, ihr wisst schon.)
Wie dem auch sei, in dem Schreiben hieß es, Vodafone würde irgendeine Form von Umstellung vornehmen und würde dazu die Mitarbeit der Kunden benötigen. Konkret wurde ich gebeten, meinen Router ab- und wieder anzuschalten, neue Zugangsdaten aus dem Brief einzugeben, und danach würde ich genauso telefonieren und surfen können wie zuvor. Nun, ihr könnt euch sicher denken, worauf es hinauslief. Ich schaltete den Router aus, wartete geduldig die empfohlene Zeitspanne ab, schaltete ihn wieder ein, tippte die Zugangsdaten ab, und dann - tja, dann passierte nichts. Mein Computer gab eine Fehlermeldung aus, und ich musste mich damit arrangieren, von einer Minute auf die andere über keinen funktionierenden Telefonanschluss und kein Internet mehr zu verfügen.
In weiser Voraussicht hatte ich ein paar wichtige Dinge im Vorfeld abgewickelt, so dass mich die Havarie nicht komplett aus der Bahn werfen konnte. Trotzdem ist eine derartige Nichterreichbarkeit im 21. Jahrhundert grundsätzlich äußerst unbefriedigend. Insofern beschloss ich (ohne große Begeisterung), vom Handy aus die Vodafone-Hotline anzurufen. Nachdem ich diverse sinnfreie Fragen von einer Bandansage beantwortet hatte, hieß es, ich wäre erfolgreich in einer Warteschlange gelandet, und der nächste freie Mitarbeiter wäre voraussichtlich in einer Stunde oder so verfügbar. Eine Stunde! Erfahrungsgemäß sind derlei Prognosen ähnlich zuverlässig wie bei der Deutschen Bahn, also legte ich auf und vertagte die Sache im Geiste.
Am nächsten Morgen spielte ich die gleiche Prozedur erneut durch (vermutlich geringfügig schneller, weil ich die dämliche automatische Fragerei schon kannte). Und tatsächlich war ich recht zügig mit einem echten Menschen verbunden. Er war relativ freundlich, wenngleich nicht hilfreich. Vermutlich hatte der gute Mann es normalerweise mit Leuten zu tun, die am Abtippen einer Zeichenkette scheitern; jedenfalls ließ er mich den Zugangscode vorwärts, rückwärts, mit der rechten Hand, mit der linken Hand, im Kreis hüpfend und auf dem Kopf stehend eingeben - natürlich alles ohne Erfolg. Im Gegenzug stellte ich ihm auch die eine oder andere Frage, z.B. ob die Zugangsdaten abgelaufen sein könnten. Er verneinte alles und begann stattdessen, ein Störungsticket zu erstellen.
Weil er sich nicht anders zu helfen wusste, musste als nächstes ein Termin mit einem Telekom-Techniker vereinbart werden. Der Termin kam überraschend schnell zustande, brachte allerdings nichts ein (jedenfalls nichts Positives). Der Telekom-Dödel kam herein, wedelte ein paarmal mit seinem Zauberstab an meinem Router herum und faselte dann etwas von einem technischen Leitungsschaden in der Nähe des Hauses. Ich glaube, alle Telekom-Mitarbeiter in Deutschland zusammengenommen kennen nur drei Störungsursachen, und “Leitungsschaden” steht in ihrem Handbuch gleich auf Seite 2. (Auf Seite 1 wird erklärt, wie man sich die Schnürsenkel zubindet.) Wir verabschiedeten uns, und ich musste mich erneut mit dem Vodafone-Support auseinandersetzen.
Auf Basis der Rückmeldung des besagten Zeitgenossen hatte Vodafone einen neuen Auftrag zur Behebung des Schadens erstellt (ebenfalls bei der Telekom, soweit ich in Erfahrung bringen konnte). Das war ja schön und gut - bis auf die Kleinigkeit, dass mir niemand sagen konnte, wann die Bearbeitung des Auftrags auf dem Plan stand. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich parallel mit meinem Hausmeister in Kontakt stand und wir uns nach etwa fünf Sekunden einig waren, dass es sich um keinen Leitungsschaden handeln konnte. Plausible Indizien waren die Tatsache, dass alle anderen Mieter im Haus weiterhin Telefon und Internet hatten, sowie der Umstand, dass der Schaden just in dem Moment entstanden war, als ich die von Vodafone angedachte Umstellung durchführte.
Ich rief wieder und wieder an; in dieser Phase verbrachte ich mehr Zeit mit dem Vodafone-Support als mit den meisten Menschen in meinem ganzen Leben. Kundenzufriedenheit steht bei denen ersichtlich nicht an erster Stelle, und augenscheinlich auch nicht an der zweiten, dritten oder vierten. Ich lernte eine beträchtliche Anzahl von Leuten kennen, die nicht die geringsten Skills zum Lösen von Kundenproblemen mitbrachten. Im Grunde waren sie alle sowohl geschwätzig als auch inkompetent, was möglicherweise die primäre Eignung für ihren Job darstellt.
In einem besonders denkwürdigen Fall wurde mir eine Mitarbeiterin zugelost, die keine Ahnung von Technik hatte. Sie erfand immer wieder Ausreden, warum das alles so kompliziert sei und beantwortete jedes meiner Anliegen mit dem Satz “Kann ich nicht sagen”. Eigentlich konnte sie gar nix sagen. Als ich endlich eine klare Auskunft forderte, wann ich wieder mit der Erbringung der Leistungen rechnen konnte, für die ich bezahlte, beglückte sie mich mit der Frage “Soll ich mir etwas ausdenken?” - leicht schnippisch, wie ich finde. “Das hat Sie doch bisher nicht gestört”, erwiderte ich, und wie ihr euch vielleicht denken könnt, war unser restlicher Dialog nicht mehr sehr ergiebig.
Als Reaktion auf meine Beanstandungen hatte mir Vodafone bis dahin bereits ein beträchtliches Datenvolumen gutgeschrieben, so dass ich zumindest in der Lage war, mich mit dem Internet zu verbinden und meine eigene Arbeit zu verrichten. Trotzdem konnte es so nicht weitergehen, insbesondere weil nach einer der Auskünfte, die ich über die Hotline erhalten hatte, noch ein Monat oder mehr bis zur endgültigen Behebung des angeblichen Leitungsschadens vergehen könnte. Nach reichlich einer Woche hatte ich die Schnauze voll und begann selbst zu recherchieren.
Vodafone bietet zwar kaum vernünftige Online-Hilfe an, allerdings kann in der heutigen Zeit bei nahezu jedem vergleichbaren Problem davon ausgegangen werden, dass es in der Vergangenheit schon ein anderer gehabt hat, also googelte ich einfach drauflos. Und siehe da, es dauerte nicht lange, da hatte ich in Erfahrung gebracht, dass der wahrscheinlichste Grund für den Ausfall darin lag, dass mir fehlerhafte Zugangsdaten zugeschickt worden waren. Hoffnungsvoll ließ ich mir über einen Self-Service auf der Vodafone-Webseite einen neuen Zugangscode generieren, gab denselben ein, und prompt waren Telefon und Internet da. Alles lief wieder einwandfrei.
Schlagartig hatte ich gute Laune und war sogar geneigt, meinem Anbieter mitzuteilen, dass die Störung nicht mehr existierte (bzw. nie existiert hatte). Und jetzt kommts: Es ging nicht! Ich versuchte es auf der Webseite von Vodafone, per Mail und telefonisch, doch ohne jeden Erfolg. Gelegentlich erhielt ich Rückmeldungen bestätigender Form, aber das Fehlerticket ließ sich partout nicht schließen. Nach einer Weile gab ich meine Bemühungen auf und ließ Vodafone gewähren. Es kam mir albern vor, dass das System nicht mit einer so elementaren Funktion - ein Problem als gelöst zu markieren - ausgestattet war; andererseits verspürte ich keine Lust, jetzt auch noch diesen Teil von deren Arbeit zu erledigen.
Mein nächster Schritt bestand darin, eine Entschädigung für die Ausfallzeit zu beantragen. Das war gleichermaßen ein schwerfälliger Prozess. Vodafone reagierte auf meine Email-Anfragen zunächst nur verhalten, vorsichtig ausgedrückt. Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem ich ihnen keine einzelnen Mails mehr schickte, sondern immer gleich 20 Stück oder so. Zumindest erreichte ich damit, dass Vodafone schließlich bereit war, mit mir über eine Rückzahlung zu sprechen. Angesichts der Tatsache, dass das ursprüngliche Problem nicht mehr bestand, war ich hierbei ziemlich entspannt, obwohl der Gedanke, noch mehr Zeit in der Vodafone-Hotline zu verbringen, selbstredend kein angenehmer war.
Vor einiger Zeit hatte ich mal was zum Thema Telekommunikationsgesetz gelesen und forderte einen entsprechenden Betrag ein. An dieser Stelle übertraf das Unternehmen sich selbst. Eine Vodafone-Tussi sagte, mir stünde keine Entschädigung zu, weil es sich bei dem Ausfall um höhere Gewalt handelte. (Häh?) Eine andere sagte, mir stünde keine Entschädigung zu, weil es sich NICHT um höhere Gewalt handelte. Eine dritte bot mir einen viel geringeren Betrag an (ungefähr das Äquivalent einer Currywurst), und als ich ihr unverblümt zu verstehen gab, was ich davon hielt, antwortete sie mir genauso unverblümt, dass sie die dienstliche Anweisung hätte, den Kunden deutlich weniger als die angemessene Summe zu bieten.
Inzwischen bin ich felsenfest davon überzeugt, dass Vodafone alle Kunden systematisch übers Ohr zu ziehen versucht. Es ist ein Jammer, dass sie damit anscheinend oft durchkommen. (Wenn es anders wäre, würden sie sich inzwischen gänzlich anders verhalten.) Vermutlich ist es möglich, Unternehmen wie Vodafone in die Knie zu zwingen; dazu müsste ein hinreichend großer Anteil der Kunden gleichzeitig die Stimme erheben und gegen die unverschämten Gepflogenheiten des Außendienstes protestieren. Da es zu einer solch konzentrierten Aktion jedoch niemals kommen wird, kann das Unternehmen es sich leisten, seine Kunden weiterhin wie Dreck zu behandeln.
Naja, in dem konkreten Fall war ich jedenfalls starrköpfig genug und damit letztendlich erfolgreich. Nach ein paar weiteren Tagen gaben die Kollegen von der Hotline ihre Versuche auf, mich hinzuhalten oder mit einem Almosen abzuspeisen. Genauer gesagt zahlten sie sogar mehr, als ich verlangt hatte. Das Telekommunikationsgesetz sieht eine Entschädigung direkt nach Dauer des Ausfalls vor, und Vodafone hatte der Berechnung eine größere Dauer zugrunde gelegt - zweifellos weil sie die Tage, die sie unnötigerweise damit verbracht hatten, mit mir über die Entschädigung zu streiten, mit in die Länge der Störung eingerechnet hatten. Ein sehr befriedigender Gedanke.
Die Geschichte ist fast zu Ende, aber die finale Pointe möchte ich euch auf keinen Fall vorenthalten. Etwa zwei Monate später - ich saß gerade zu Hause an meinem Notebook - war plötzlich meine Internetverbindung erneut weg, ebenso das Telefon. Ich dachte entsetzt, dass die ganze Sache von vorn beginnen würde. Doch nein, weit gefehlt! Vom Fenster aus sah ich draußen zwei Leute, von denen einer gerade in einem kleinen Schacht auf dem Fußweg geklettert war. Offenbar hatte er die Anweisung erhalten, den Leitungsschaden von früheren Tagen zu beheben, und tat dies mit großem Enthusiasmus, indem er unter Tage das Netz kurz ab- und wieder anschaltete. Nach zwei Minuten war mein Anschluss wiederhergestellt.
Direkt nach dieser außergewöhnlichen Leistung der Telekom, einen nicht vorhandenen Fehler durch eine Aktivität zu beseitigen, die dem doppelten Betätigen eines Lichtschalters gleichkommt, überschlug sich Vodafone vor Freude und schickte mir eine Lawine von Nachrichten, die alle sinngemäß “Herzlichen Glückwunsch! Ihr Anschluss funktioniert wieder” zum Inhalt hatten. Das Ganze klang so begeistert, so leidenschaftlich, dass ich beinahe erwartete, demnächst an meiner Wohnungstür einen coolen Typen in einem Hawaii-Hemd anzutreffen, der mir einen Strauß Luftballons überreichen würde.
Leider kam es dazu am Ende nicht, so dass ich mich mit dem Entschädigungsbetrag und dem Wissen zufriedengeben musste, dass ich im Alleingang eine Hürde überwunden hatte, die den kollektiven Sachverstand von einem Dutzend Angestellten im Telekommunikationssektor sowie deren Technik überfordert. Als ich dann jedoch nochmal etwas sachlicher und nüchterner über die gesamte Episode nachgedacht habe, war die Sache nicht mehr lustig. Unter dem Strich steht die Vergeudung einer wahrscheinlich vierstelligen Summe (zusammengerechnet aus der Entschädigung selbst, zwei Telekom-Einsätzen und der Bezahlung von diversem Support-Personal - letzteres zweifellos nicht nach Leistung), weil Vodafone mit der Information “Problem gelöst” systemisch nichts anfangen kann.
Ist euch mal aufgefallen, wie viele Dienstleistungen da draußen jeden Tag erbracht werden, deren Qualität nur bestenfalls mittelmäßig ist, die aber eine riesige Stange Geld kosten? Wie viele Mittel durch Inkompetenz verschwendet werden? Wie viel Geld in den Sand gesetzt wird, weil irgendwelche Abläufe zehnmal so kompliziert sind, wie sie sein müssten? Wir reden hier wohlgemerkt nicht nur über gigantische Bauprojekte wie einen Flughafen oder eine unterirdische Bahnstation, sondern über ganz gewöhnliche Aktivitäten und Maßnahmen im Alltag.
In einem meiner letzten Artikel habe ich das sogenannte Sondervermögen von 500 Milliarden Euro erwähnt, dass Friedrich Merz und Konsorten kürzlich freigeschaufelt haben. Was wird wohl aus dem vielen Geld? Wird es in unser Gesundheits- und Bildungswesen gehen, in Modernisierung, in soziale Projekte, in erneuerbare Energien und den Umweltschutz? Es gibt so viel Gutes, was man mit einer halben Billion erreichen könnte, jedenfalls theoretisch. In der Realität sollten wir tendenziell froh sein, wenn damit ein oder zwei marode Brücken saniert werden.
Denn der gesellschaftliche Trend, Geld zum Fenster rauszuwerfen, wird in meinen Augen auch vor dem Sondervermögen nicht haltmachen. Unser Verkehrsminister wird bestimmt gleich euphorisch neue Maut-Verträge abschließen, unmittelbar wieder aufkündigen, und braucht dann einen Batzen Geld, um die enttäuschten Vertragspartner zu entschädigen. Im Verteidigungsministerium fließt vermutlich ein Drittel des zur Verfügung gestellten Betrages in Beraterfirmen, die untersuchen sollen, warum die Bundeswehr keine zuverlässige Ausrüstung besitzt. Und zwischen den restlichen Ressorts wird ausgewürfelt, wer wie viele Dienstwagen für private Urlaubsplanungen zweckentfremden darf.
Wir leben in einer Gesellschaft der institutionalisierten Verschwendung. Wir haben wirtschaftliche Maßnahmenplanung zu einem Glücksspiel umgestaltet, die Bürokratie mit Wettbewerbscharakter angereichert und Inkompetenz konkurrenzfähig gemacht. Das Geld wird nach einer Weile weg sein, so oder so, und je mehr Pappnasen im Rahmen des Prozesses die Hand aufhalten (die öffentliche oder ihre eigene), umso weniger wird hinten dabei rauskommen. Vor diesem Hintergrund sollten wir vielleicht froh sein, wenn hier und da tausend Euro mehr als nötig in die Pflege eines Rasenstücks gesteckt werden: Auf lange Sicht haben wir nichts davon, aber für ein paar Wochen ist es wenigstens schön grün.