Saturday, January 7, 2023

Das Spiel der Farben

Es sind schon kuriose Zeiten, in denen wir leben. Während ich hier auf meiner Couch vor mich hin tippe, treffen sich auf der anderen Seite der großen Pfütze Hunderte von Volksvertretern, um zu eruieren, was die Hälfte von 435 ist. Erst nach 15 Anläufen haben sie es geschafft. Tagelang war es so, dass ich morgens nicht die Schlagzeile erwartet habe, es wäre McCarthy gelungen, eine Mehrheit hinter sich zu vereinen, sondern immer nur eine Meldung mit einer noch größeren Anzahl an Fehlversuchen.

Wir reden hier wohlgemerkt nicht von irgendeiner Bananenrepublik, sondern vom Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten von Amerika, die sich selbst gern als das Vorbild westlicher Demokratien ansehen. Vor meinem inneren Auge sehe ich die Autokraten dieser Welt schmunzeln. So langsam nähern sich die USA - wie auch diverse andere Länder - deren Modell immer weiter an, bei dem es nicht darum geht, wer gewählt wird, sondern nur ob. Fast auf den Tag genau zwei Jahre ist es her, da hat der von Donald Trump aufgestachelte Mob das Kapitol gestürmt. (Ich bin sicher, in seinem Kopf funktioniert Demokratie so.)

Wir sollten uns vermutlich nicht allzu sehr darüber lustig machen, denn die entsprechenden politischen Prozesse in Deutschland sind inzwischen auch alles andere als vorzeigbar. Erinnert ihr euch daran, dass es nach der Bundestagswahl 2017 fast ein halbes Jahr gedauert hat, eine Regierung zu bilden? Nachdem die Sondierungsgespräche gescheitert waren, musste Bundespräsident Steinmeier den großen Parteien in das reden, was er für ihr Gewissen hielt, damit sie überhaupt weiter miteinander sprachen. Trotzdem brauchte es danach noch mehrere Monate, bis zumindest halbwegs Einigkeit vermeldet werden konnte.

2021 ging es ein Stück schneller, doch der Weg dahin war genauso lächerlich. Obwohl CDU/CSU die großen Verlierer waren und nicht mehr die meisten Stimmen erhalten hatten, sprach Armin Laschet ohne erkennbare Ironie von einem klaren Wählerauftrag für die Union, die Geschicke des Landes weiter lenken zu wollen. In anderen Kulturen wäre von ihm erwartet worden, sich in sein Schwert zu stürzen.

Immerhin ist dieser Kelch an uns vorübergangen. Allerdings kommt mir die neue Regierung dieser Tage auch bloß nicht besonders funktionsfähig vor, jedenfalls solange die Spaßbremse Christian Lindner mit am Tisch sitzt. Aber was erwartet man auch von jemandem, dessen Partei sich “Führungsanspruch Durch Planlosigkeit” nennt, und der es im Gegensatz zu so manchem aufstrebenden Politiker noch nicht mal geschafft hat, eine Doktorarbeit zu plagiieren? Jedesmal wenn ich ihn sehe, muss ich an den Uli-Stein-Pinguin mit dem Schild “DAGEGEN!” denken. Von der rot-gelb-grünen Regierung kann man in Sachen Gesetzgebung keine großen Errungenschaften erwarten.

Die USA hat dieses Problem nicht, denn dort gibt es für praktische Zwecke nur rot und blau. Daher lässt sich die legislative Entwicklung dort relativ leicht beschreiben: Jedes wirklich ernstzunehmende Gesetzesprojekt wird zunächst von der einen Seite mit knapper Mehrheit durchgepeitscht und dann bei erster Gelegenheit von der Gegenseite zurückgefahren.

Soweit kommt es in Deutschland gottlob nicht - hierzulande scheitert man schon am ersten Schritt. Daher tut sich bei den wahrhaft wichtigen Themen kaum etwas. In meinen Augen ist die Umweltpolitik die dringendste Baustelle, aber das kann man gern anders sehen; es gibt sicher genug Bereiche mit Handlungsbedarf. Allerdings beschäftigt sich die Politik lieber mit nebensächlichem Kleinkram. Im Moment ist ein Böllerverbot im Gespräch, bei dem es im Grunde genommen nur um die Frage geht, ob sich die Bekloppten mit oder ohne Segen des Gesetzgebers die Finger wegsprengen.

Bemerkenswerterweise wird in der Politik immer wieder davon gesprochen, die Zukunft zu gestalten. Nun, die Zukunft beginnt jeden Tag von Neuem. Leider scheint der Stillstand das einzige Zukunftskonzept zu sein, dass alle Parteien gemeinsam haben. Es ist ein Jammer, dass die Politiker in Deutschland nicht den Schneid haben, ihre Worte mit Taten zu untermauern und mal wirklich einen Schritt nach vorn zu gehen.

Bevor meine Worte als Aufruf fehlinterpretiert werden, extremistisch veranlagte Parteien zu wählen, hier eine kurze Klarstellung. Ich bin weder ein Anarchist, noch glaube ich, dass die Zeitgenossen von der AfD eine tragbare Alternative sind. Gemessen an anderen Teilen der Welt ist unser politisches Klima gemäßigt, und das ist auch gut so. Ist es wirklich zu viel verlangt, dass Politiker Politik machen, bei der nicht der eigene Vorteil, sondern das Wohl des Landes im Vordergrund steht?