Thursday, April 20, 2023

Hamburg baut

In dem Viertel, in dem ich wohne, finden seit einiger Zeit wieder Baumaßnahmen statt. Das ist nicht sehr ermutigend. Das letzte Mal, als in unserer Gegend eine Gruppe von übermotivierten und unterqualifizierten Bauarbeitern Freigang hatte, war danach der Telefon-/Internet-Anschluss für mehr als eine Woche futsch. Ihr könnt euch denken, dass ich angesichts ähnlicher Geschehnisse jetzt immer besonders angespannt bin.

Konkret soll die hiesige Bahnstrecke erweitert werden. Ein Kollege hat mir kürzlich gesteckt, dass die verkehrstechnische Konzeption entgegen der landläufigen Meinung sogar einen Sinn hat. Gleichzeitig hat die Ankündigung ein paar Umweltschützer auf den Plan gerufen, denen nicht entgangen ist, dass für das Verlegen neuer Gleise eine Menge Bäume gefällt werden müssen. Ich kann beide Seiten verstehen. Was ich nicht verstehe, ist die Bauplanung.

Seit Baubegin finde ich ungefähr einmal monatlich in meinem Briefkasten eine Benachrichtigungskarte, in denen über die nächsten Schritte informiert wird. Unter anderem ist dort von “Kampfmittelsondierung” die Rede, d.h. irgendjemand sucht auf dem Baugelände nach Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg - vermutlich den gleichen, die am Frankfurter Hauptbahnhof in so erstaunlicher Regelmäßigkeit entdeckt werden, dass man schon nicht mehr an Zufälle glauben mag.

Ansonsten wird auf den Karten beschrieben, wann und in welchem Umfang man mit Baulärm zu rechnen hat. Das sind jedoch rein theoretische Mitteilungen; in der Praxis sehe ich selten wirklich jemanden an dem Bahndamm arbeiten. Hin und wieder nehme ich zur Kenntnis, dass ein paar bebauwestete Gestalten ein Absperrgitter um ein paar Meter verrücken, aber viel mehr ist da normalerweise nicht.

Bisher bestand die einzige wirklich nennenswerte Entwicklung darin, dass der nächstgelegene Bahnhof stillgelegt wurde. Die Strecke wird unverändert weiter befahren, die Züge halten nur nicht mehr. Im Grunde genommen haben die Verantwortlichen einfach den örtlichen Aufgang zu den Gleisen mit einer Sperrholzplatte zugenagelt und davor ein relativ nichtssagendes Schild deponiert.

Bei der Gelegenheit haben sie auch zwei nahegelegene Bahnübergänge dicht gemacht und sich dann erstmal auf unbestimmte Zeit zurückgezogen. Das ist höchst unpraktisch, weil es für mich und viele andere Anwohner Umwege bedeutet, deren Notwendigkeit sich nicht erschließt. In einem Fall wurde eine Hauptstraße auf einer Länge von gefühlt 50 Metern gesperrt und mit Baufahrzeugen zugestellt, die nun gemächlich vor sich hin rosten.

Der Fairness halber muss ich erwähnen, dass sich manchmal wirklich etwas bewegt. Anscheinend ist ein eigens zu diesem Zweck konstruiertes Baufahrzeug im Einsatz, welches das Fundament entweder lockern oder feststampfen soll, potentiell beides. Werktags tut es das kaum (wobei ich nicht weiß, ob es dafür einen regulatorischen Grund gibt). Stattdessen wird zu exotischen Zeiten gestößelt, was das Zeug hält, z.B. samstags gegen Mitternacht. Wenn das passiert, ist es noch sechs Blöcke weiter zu spüren.

Zurück zu der gesperrten Straße. Bei einem Spaziergang habe ich zufällig auf einem Wohngrundstück direkt neben den Gleisen ein Schild gesehen, auf dem anwohnerseitig eine Dienstleistung angepriesen wird. Stellt euch vor: Da ist diese Hauptstraße mit Bahnübergang, welche ehemals gut frequentiert war und jetzt in zwei formschöne Sackgassen mit zahlreichen parkenden Baggern mündet. Wofür könnte man an diesem Ort werben? Richtig geraten, es ist eine Klavierschule. Nur Verrückte!

Dass Hamburg kulturell viel zu bieten hat, ist unbestritten. Trotzdem muss ich gestehen, dass ich mir einen Erfolg des künstlerischen Angebotes an diesem speziellen Ort schwer vorstellen kann. Eine musikalische Weiterbildung an einem Kreuzungspunkt von Straße und Schiene kommt mir, vorsichtig ausgedrückt, nicht unbedingt naheliegend vor.

Was akustische Störungen angeht, ist es insofern vielleicht sogar besser, dass derzeit alles stillsteht. Andererseits kommt an dem Haus jetzt kaum noch jemand vorbei, der das Schild wahrnimmt - von vereinzelten Schaulustigen wie mir vielleicht abgesehen. Autofahrer sowieso nicht, aber selbst für Fußgänger ist schwer einzusehen, warum sie sich in der Nähe des besagten Hauses herumtreiben sollten.

Irgendwo habe ich gelesen, dass die ersten vorzeigbaren Ergebnisse im Kontext der Bahnstreckenerweiterung im Jahr 2024 zu sehen sein sollen. Im Moment kommt mir 2026 realistischer vor. In unseren Baustellen kommen Planlosigkeit, Bürokratie und Inkompetenz im großen Stil zusammen. Je größer die Baumaßnahme, umso deutlich treten diese Elemente zutage.

Mit der Arbeitsmoral, die man bestimmten fernöstlichen Kulturen nachsagt, könnte man so eine Sache in wenigen Monaten umsetzen: Absperrung aufbauen, Bahndamm aufschütten, Schienen verlegen, Absperrung abbauen, fertig. Wie ein anderes Hamburger Bauprojekt unlängst aufgezeigt hat (welches ebenfalls mit Musik in Verbindung zu bringen ist), dauern diese Dinge hierzulande allerdings generell viel länger, als sie müssten. Ein Jammer.