Saturday, April 29, 2023

Licht und Schatten

Kürzlich bin ich beim Spazieren an einer elektronischen Werbetafel vorbeigekommen, die eine interessante Information bereithielt. Angeblich hat die Europa Passage - ein bekanntes Einkaufszentrum im Herzen Hamburgs - es geschafft, im letzten Jahr das Energieäquivalent eines Einfamilienhauses einzusparen. Leider habe ich nicht mitbekommen, ob diese Aussage Teil einer Werbekampagne für irgendetwas war, aber das soll jetzt nebensächlich sein; ich möchte mich auf den Inhalt konzentrieren.

An sich klingt das wie eine respektable Leistung. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wird Energie hierzulande als deutlich kostbarer anerkannt, als es vorher noch der Fall war. Energiesparmaßnahmen werden an allen Ecken und Enden angestrebt. Und jetzt hat es eine große Einrichtung geschafft, einen so gewaltigen Beitrag zum Energiesparen zu leisten. Das ist doch bemerkenswert, oder?

Tja, da haben wir den Salat. Es klingt beeindruckend, allerdings liegt das hauptsächlich daran, dass unsereiner keine Vorstellung davon hat, was die Einsparung in Zahlen wirklich bedeutet. Um die obige Tatsache (unter der Annahme, dass sie überhaupt stimmt, aber darum soll es heute nicht gehen) zu bewerten, muss man die Größenordnungen verstehen. Man braucht mehr Kontext.

Laut Wikipedia liegen in der Europa Passage Geschäftsflächen von 30000 Quadratmetern, was ungefähr dem 200-fachen eines durchschnittlichen Einfamilienhauses entspricht. Hinzu kommt, dass dort permanent überall Licht brennt, damit die Besuchermassen (über 50000 pro Tag, ebenfalls laut Wikipedia) nicht ständig gegen Wände laufen - von Rolltreppen und Ähnlichem ganz zu schweigen. Das alles suggeriert, dass die Ersparnis nur einen mikroskopisch kleinen Teil des eigentlichen Energieverbrauchs darstellt.

Da ist noch eine zweite Frage, die man sich stellen sollte. Wie war es gelungen, diese Energiemenge einzusparen? War das vielleicht ganz leicht, weil die Energiedifferenz vorher mehr oder weniger verschwendet wurde? Seien wir mal ehrlich, in unserem Teil der Welt lebt man verschwenderisch, wieso sollte das ausgerechnet beim Energieverbrauch eines Einkaufszentrums anders sein? Auch hier fehlt der Kontext, um eine objektive Einschätzung zu treffen.

Zum besseren Verständnis ein hypothetisches Szenario: Nehmen wir an, ein Fußballer trifft zunächst nur durchschnittlich 2 von 10 Elfmetern. Dann gelingt es ihm, seine Trefferquote auf 5 von 10 zu steigern. Das ist mehr als doppelt so viel wie zuvor, aber - zumindest für einen Profi - trotzdem eine miserable Leistung. Falls also der Trainer in einer Pressekonferenz sagt, dass der Spieler seine Leistung verdoppelt hat, will er die Ergebnisse nur schönreden. Es handelt sich nicht plötzlich um einen herausragenden Spieler; nein, man muss sich vielmehr fragen, warum er vorher so schlecht war.

Und noch ein weiteres Beispiel. Angenommen, eine Institution, die im weitesten Sinne mit der Ernährung der Bevölkerung zu tun hat, verkündet zu einem Zeitpunkt öffentlich, dass sie die weggeworfenen Lebensmittel um jährlich 10 Tonnen reduziert hat. Auch so eine Aussage müsste man sich erst durch den Kopf gehen lassen. Von dieser Menge könnte man, ganz grob geschätzt, 10 bis 20 Leute ernähren. Der erste Instinkt wäre also “Oh toll”.

Erneut müsste man sich jedoch fragen, wie es kam, dass vorher eine so gigantische Menge an Lebensmitteln verschwendet wurde. Und ohne Kenntnis, wie viel Essen weiterhin weggeschmissen wird, ist die Botschaft nur bedingt wirkungsvoll. Wenn einer sagt, er hätte ein Licht angezündet, kann man dem kaum vernünftig eine Aussagekraft beimessen, wenn man nicht weiß, wie dunkel es vorher und wie hell es danach war.

Aussagen ohne Kontext zu präsentieren, um das Urteil der Zuhörer in eine bestimmte Richtung zu lenken, ist eine Kunst. Eine Kunst, die wir in der heutigen Zeit perfektioniert haben. Das ist allerdings nichts, worauf wir stolz sein sollten. Die Fähigkeit, (Teil-)Informationen gezielt vorzuenthalten, um Mitmenschen zu manipulieren, ist eine traurige Errungenschaft.

Gerade wenn es um Verschwendung und vergleichbare Missstände in unserer Gesellschaft geht (Abgase, Waffenexporte, Korruption, usw.), ist ein solcher Trend allgegenwärtig. Zwar ist jede einzelne Maßnahme zur Verbesserung grundsätzlich eine gute Sache. Andererseits muss man sie korrekt einordnen, um die Menschen nicht in die Irre zu führen. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Die Verantwortlichen wollen die Menschen in die Irre führen, weil es zu ihrem Vorteil ist. Solange sich das nicht ändert, werden wir mit dem Prinzip der selektiven Wahrheit leben müssen.