Tuesday, February 7, 2023

Der Weg ins Rampenlicht

Ich muss mich entschuldigen. In meinem Blog sollte es eigentlich um die Verdummung der Menschen gehen, und die jüngsten Beiträge sind mir viel ernster geraten, als es ursprünglich meine Absicht war. Deswegen gibt es zur Abwechslung heute etwas leichtere Kost. Zur Zeit schaue ich mir in großen Mengen Short-Videos auf YouTube an, und kürzlich bin ich auf eins gestoßen, in dem ein völlig unbekannter und uninteressanter junger Mann vor dem Spiegel steht und über seine Morgenroutine berichtet. Nur Verrückte!

Etwas verstörend finde ich - neben diversen anderen Dingen - den Umstand, dass dieses Video relativ weit oben auf der Liste der Clips steht, die YouTube mir “empfiehlt”. Man stelle sich vor: Da ist ein Teenager in einem fernen Land, der dem Internet Dinge anvertraut, die vermutlich selbst seine engsten Mitmenschen nicht hören wollen. Und ein vermeintlich intelligenter Algorithmus hinter einer der am stärksten frequentierten Webseiten der Welt glaubt, das wäre etwas für mich. Ich bin irritiert.

Wenn man es früher ins Rampenlicht schaffen wollte, musste man zuerst besondere Leistungen erbringen (sportlich, künstlerisch, oder was auch immer). Dann hat man seine Qualitäten ausgebaut, mit der Zeit hat sich das herumgesprochen, und man wurde berühmt. Heute scheint der verbreitete Weg der entgegengesetzte zu sein: Man postet so vor sich hin, hat nach ein paar Monaten vielleicht einen gewissen Grad an Popularität erreicht, und dann schaut man, ob man irgendein brauchbares Talent besitzt.

Ich halte das für einen deprimierenden Trend. Junge Leute haben keinen Plan, sie wollen Influencer werden und denken, damit wären ihre Probleme für alle Zeiten gelöst. Dabei sind solche Dinge eher kurzlebig. Wer heute auf eine stolze Zahl an Subscribern blickt, hat keine Garantie, dass er sich morgen noch etwas dafür kaufen kann. Auf einen erfolgreichen Influencer kommen hundert oder tausend andere, die nichts zustande gebracht haben und sich in ein paar Jahren fragen werden, wie es weitergehen soll.

Dabei entstehen unheimlich viele Clips, die mich nur noch abstoßen. Immer wieder treffe ich zu meinem großen Bedauern auf einen YouTuber, der Sportvideos verbreitet und dabei nichts beiträgt, als seine eigenen Kommentare hineinzuschneiden (”Oh, amazing!” oder ähnlich gehaltvoll). Ich kann ihn in den Videos nicht ausblenden, weil seine Worte zusätzlich als Untertitel durchs Bild schwirren. Andere veredeln vorhandene Videos mit Smileys oder Cartoon-Sprechblasen, weil sie das irrtümlich für eine tolle Sache halten.

Die meisten derartigen Trends mögen wie gesagt kurzlebig sein, aber im Moment sind sie leider erstmal da. Wenn einer eine neue Idee hat und postet, wird sie von anderen in einer Weise aufgegriffen, die an Schmeißfliegen über einem Kadaver erinnert. Erst mit der Zeit zeigt sich, ob sie etwas taugt; bis dahin dominiert sie die sozialen Medien. “Das ist wie Schwarmintelligenz, nur ohne die Intelligenz”, sagte ich neulich zu einem Kollegen, als wir über dieses Thema sprachen, und er stimmte mir vorbehaltlos zu.

Mir ist klar, dass das oben Gesagte zum Teil wie Heuchelei wirken muss, weil ich selbst in die gleiche Richtung ziele. Wie ihr seht, schreibe ich über alle möglichen gesellschaftlichen Themen, und objektiv betrachtet gibt es für Außenstehende keinen überzeugenden Grund, meinen Blog zu lesen. Zu meiner Verteidigung möchte ich herhalten, dass ich mich in der glücklichen Situation befinde, eine gute Ausbildung genossen zu haben und nun über ein stabiles berufliches Standbein zu verfügen. Ich bin auf Follower nicht angewiesen.

Im Übrigen muss man anerkennen, dass zumindest ein paar der besagten Videos einen ordentlichen Unterhaltungswert besitzen. Im letzten Jahr ist mir eine junge Frau ins Auge gefallen, die unter dem Alias “LaurenJumps” Videos beim Seilspringen zeigt. Sie ist attraktiv, kann es sehr gut, und ich musste nirgendwo meine Kreditkartennummer eingeben. Wenn ich die Berichte im Internet korrekt deute, hat sie sich auf diesem Weg inzwischen eine komfortable Existenz aufgebaut (was natürlich vielen ihrer Artgenossen neuen Ansporn gibt).

Manchen gelingt es, beides - Beruf und Berühmtheit - miteinander zu verbinden. Ich nehme an, das ist der Traum der modernen Generation. Als Sänger, DJ oder ähnliches überrascht das nicht, aber es kann auch mit ordinären Tätigkeiten klappen. Schon wenn man eine Pizza gut oder schlecht ausliefert, findet man einen Deppen, der die Episode hochlädt. Und sobald man bei Bauarbeiten Mist baut, kann man sicher sein, unter der Überschrift “Idiots at work” im Netz zu landen.

Sehr beliebt sind dieser Tage z.B. Schiffsmanöver im Suezkanal. Falls man es schafft, eine wichtige Transportrinne zu blockieren, steht man definitv schnell im Rampenlicht. Gerüchten zufolge ziehen Mitglieder von islamistischen Terrorzellen in Erwägung, auf Kapitän umzuschulen. So können sie der verhassten westlichen Wirtschaft zuverlässig schaden, und zwar ohne die Unannehmlichkeit einer Selbstsprengung. Im Idealfall kosten sie uns Milliarden und kriegen dafür noch Likes.

Alternativ kann man ein Buch schreiben. Dass man dafür nicht qualifiziert sein muss, haben Promis wie Dieter Bohlen oder Boris Becker vorgemacht. Wenn man weder Popstar noch Wimbledon-Sieger ist und auch sonst partout nichts über sich selbst zu erzählen hat, schreibt man über eine der Kardashians, die britischen Royals oder Donald Trump. Irgendwas geht immer.