Saturday, February 25, 2023

Nix in der Röhre

Neulich habe ich mal wieder über das Fernsehprogramm und dessen Qualität nachgedacht. Der Anlass war banal; ich hatte den Fernseher eingeschaltet (es war ein typischer Samstagabend) und mich gewundert, dass ich nix gefunden habe, was ich gern sehen würde. Einerseits muss ich gestehen, dass ich mir ein Leben ohne Fernsehen nur schwer vorstellen kann. Andererseits finde ich das Sendeangebot gleichzeitig so unterirdisch schlecht, dass es mir regelmäßig die Sprache verschlägt. Wie passt das zusammen?

Nun, nach meiner Wahrnehmung gibt es beim Fernsehprogramm (wie bei vielen anderen Dingen) einen Gewöhnungseffekt. Wenn das Niveau allmählich sinkt, nimmt der menschliche Geist das hin und empfindet es irgendwann als normal. Man muss sich der Problematik erst bewusst werden und die Qualität des Fernsehens aktiv hinterfragen. Das geschieht vergleichsweise selten. Wenn nicht gerade jemand auf die glorreiche Idee kommt, einer Persönlichkeit vom Kaliber Reich-Ranicki einen Fernsehpreis andrehen zu wollen, bleiben wir Zombies und dümpeln vor den Bildschirmen vor uns hin.

Ich kann mich dunkel daran erinnern, dass wir in meiner Kindheit ein Fernsehgerät hatten, welches uns acht Sender zeigen konnte, manche davon sogar in Farbe. Wir waren hin und weg, wenngleich das damalige Angebot, vorsichtig ausgedrückt, überschaubar war. Das Fernsehen hat in jener Phase ganz vorsichtig Einzug in unseren Alltag gehalten. Inzwischen sind wir an einem Punkt angelangt, wo uns Hunderte von Sendern den Eindruck vermitteln, es würde sich um effektiv unbegrenztes und gesamtheitlich unverzichtbares Kulturgut handeln.

Die heutige Vielfalt an Sendern täuscht gern über die vorherrschende Inhaltslosigkeit hinweg. Egal ob es um Fiktion oder das sogenannte Reality TV geht, wir werden mit Müll konfrontiert, der nur sporadisch einen höheren intellektuellen Anspruch als eine Schrottpresse zu bieten hat. Selbst Nachrichten und Sportübertragungen schaffen es, mich zunehmend zu enttäuschen. Gehen wir ein paar Sendeformate mal nacheinander durch.

Beginnen wir mit Nachrichten. Fairerweise muss man sagen, dass die Hauptsender noch halbwegs in der Lage sind, uns über das Weltgeschehen zu informieren. Allerdings - ich möchte nicht wie ein Verschwörungstheoretiker klingen, aber es ist ein echtes Problem - ist man den Launen des jeweiligen Senders unterworfen und erfährt primär das, was er für wichtig hält.

Es gibt so viele Krisengebiete, die uns kümmern sollten, und im Fernsehen hört man so wenig darüber. Um nur ein Beispiel zu nennen: Zum Jahreswechsel habe ich mehr Beiträge über die letzten Stunden von Pelé und unseren Ex-Papst gesehen als in den gesamten letzten fünf Jahren über den Jemen. In Ländern wie Katar werden Menschenrechte mit Füßen getreten, doch berichtenswert wird das erst, wenn dort auch ein Ball getreten wird. Immerhin haben wir in Europa, nicht allzu weit von uns entfernt, jetzt eine hauseigene Krise.

Und trotzdem werden Lappalien ähnlich aufgebläht wie ein Krieg mit Tausenden von Opfern und Millionen von Betroffenen. Kurz gesagt, angesichts der Priorisierung der Nachrichtenthemen scheinen die Entwicklungen in der Ukraine ungefähr genauso wichtig zu sein wie das Privatleben von Markus Lanz oder Cathy Hummels. Vielleicht liegt es daran, dass viele der schlimmen Zustände auf der Welt schon seit Jahren herrschen, also keine “News” mehr sind. Oder es wird davon ausgegangen, dass wir davon nichts hören wollen: Aus den Augen, aus dem Sinn. Das Schlimmste daran ist, vermutlich stimmt das auch.

Wechseln wir zum Sport. Auf nationaler Ebene werden Sportveranstaltungen als nicht besonders interessant angesehen, so dass man sich bei Übertragungen hauptsächlich auf Fußball konzentriert. Dieser einseitige Fokus nimmt teilweise groteske Züge an. In Saisonpausen werden mitunter lieber Wiederholungen früherer Spiele als aktuelle Meisterschaften in Randsportarten ausgestrahlt. Das DFB-Pokalfinale der Frauen von 2013 zwischen Wolfsburg und Potsdam konnte ich mir noch Jahre später im Fernsehen anschauen, weil zeitgleich kein anderes Fußballspiel lief.

Internationale Sportevents sind im Vergleich dazu grundsätzlich eine tolle Sache. Dummerweise glauben deutsche Sportreporter immer, sie müssen ihren gesunden Menschenverstand für Patriotismus eintauschen. Das hat zur Folge, dass sie geradezu absurde Erfolgsprognosen für deutsche Athleten abgeben. Bei einer denkwürdigen Veranstaltung im Schwimmen (es muss ein Ereignis wie Olympia gewesen sein) habe ich mitverfolgt, wie sieben Teilnehmer große Distanzen in kurzer Zeit zurücklegten. Der achte - ein Deutscher - war weit abgeschlagen, aber der Reporter entblödete sich nicht, ihn als Hoffnung auf eine Goldmedaille darzustellen und seine Leistung bis kurz vor Anschlag mit den Worten “schwimmt intelligent von hinten” zu beschreiben.

Natürlich sieht der tatsächliche Medaillenspiegel am Ende gänzlich anders aus als im Vorfeld erhofft. Immerhin ergibt sich daraus die Rechtfertigung, weitere Sendungen zu zeigen, in denen diskutiert wird, wer für das schlechte Abschneiden verantwortlich ist. Mit etwas Schmalz in der Birne käme man auf die Idee, dass die Deutschen im internationalen Vergleich objektiv gar nicht so gut sind, so dass sich auch die Schuldfrage erübrigen würde.

Gehen wir wieder einen Schritt weiter, und zwar zu Filmen und Serien. Hier ist das Gezeigte zwar oftmals laut und schrill, jedoch ebenfalls nicht besonders gehaltvoll. (Den Vogel schießt fast jeden Tag der Sender Tele 5 ab, wo man anscheinend glaubt, “Sharknado” wäre ein cinematisches Meisterwerk.) Richtig gute Hollywood-Produktionen halten im deutschen TV selten Einzug, insbesondere seit die großen Studios erkannt haben, dass sie mit Streaming mehr verdienen können. So hat der deutsche Fernsehzuschauer in der Regel nur die deprimierende Wahl zwischen hirnlosen Blockbustern und einer Endlosschleife von “Unsere kleine Farm”.

Deutsche Produktionen genießen generell keinen besonders guten Ruf. Das hält die Produzenten nicht davon ab, eine sinnfreie Soap nach der anderen zu kreieren. Besonders populär sind seit gefühlt 30 Jahren Krankenhausserien. Hier und da gibt es Krimiserien, allerdings inzwischen auch nur noch auf dem Niveau von GZSZ. Mit diesem Wissen lehnen sich die Sender zufrieden zurück, weil ihnen niemand gesagt hat, dass der Weg dorthin größtenteils abwärts geführt hat.

Die letzte große Kategorie von Sendeformaten, auf die ich eingehen möchte, läuft unter der Sammelbezeichnung “Reality TV”. Zwischen den diversen Casting-Shows (Superstar, Topmodel und all den anderen Talent-Imitationen) tummeln sich weitere nutzlose Formate wie Auswanderer und Bachelor. Am schlimmsten ist es, wenn eine Staffel von Promi Big Brother läuft, denn dafür werden zusätzliche Sendeplätze okkupiert. Man muss nur eine Handvoll ehemaliger “Berühmtheiten” (eine sehr euphemistische Bezeichnung) in ein Camp stecken, sie beim Duschen filmen und ihnen Kompost als Hauptmahlzeit servieren, dann schalten Millionen ein.

Mitunter werden diese Promis zu Quiz-Shows und anderen Herausforderungen eingeladen, bei denen sie zur Abwechslung Leistungen erbringen müssen. Auch diese Shows schießen wie Pilze aus dem Boden. Gerüchten zufolge soll - in Anlehnung an “Schlag den Raab” bzw. “Schlag den Star” - als nächstes “Schlag den Ex von Heidi Klum” kommen. Oder verwechsle ich da gerade etwas? Im Prinzip ist es egal; die Quoten werden durch die Decke gehen, davon bin ich überzeugt.

All dem sind die Fernseh-Zuschauer hierzulande hilflos ausgeliefert. Ausgenommen sind höchstens vielleicht ein paar Exoten - ihr wisst schon, von der Sorte, die aus dem Stand die Sendernummer von Arte auf ihrem TV-Gerät nennen können. Der Rest wird mit Verdummungsstrahlen beschossen, weicht ihnen aber vorsätzlich nicht aus, sondern drängelt sich regelrecht um die besten Plätze.

Bei vielen Themen ist es dieser Tage so, dass ich das Gefühl habe, mit meiner Meinung allein auf weiter Flur zu sein. Diesmal zum Glück nicht; zwar weilt die oben erwähnte Literatur-Ikone nicht mehr unter uns, aber andere Kritiker nehmen das Ganze genauso wahr und kommentieren es ähnlich (satirisch und folgenlos). Kleiner Tipp: Sucht mal auf YouTube nach “Jürgen von der Lippe” und “Pöbel-TV”. Zehn Minuten gute Unterhaltung - es lohnt sich!